Honor Harrington 19. Der Schatten von Saganami
niedergeschlagen. Abgestoßen. Entsetzt. All das. Aber schuldig fühle ich mich nicht. Was sagt das über mich aus? Dass ich Menschen töten kann, ohne mich schuldig zu fühlen?«
Er sah sie an, die grauen Augen bodenlos, und sie verschränkte die Arme vor der Brust.
»Es sagt, dass du ein Mensch bist. Und sei dir nicht zu sicher, dass du dich nicht schuldig fühlst. Oder dass du dich irgendwann nicht schuldig fühlen wirst. Mein Vater sagt, dass es den meisten Menschen so ergeht - dass es sich um einen Mechanismus handelt, der dem Überleben der Gesellschaft dient. Aber bei einigen Menschen ist es anders. Er sagt, sie sind deswegen noch lange nicht schlecht oder soziopathische Ungeheuer. Manchmal bedeutet es nur, dass sie einen deutlicheren Blick haben. Dass sie sich nicht selbst belügen. Wir alle müssen Entscheidungen treffen. Manchmal sind sie einfach, manchmal sind sie schwer. Und manchmal lässt uns unsere Verantwortung für die Menschen, die uns wichtig sind, die Dinge, an die wir glauben, oder Leute, die sich selbst nicht verteidigen können, keine andere Wahl.«
»Ich weiß nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Das kommt mir so . zu grob vereinfacht vor. Das ist, als gebe ich mir eine moralische >Du kommst aus dem Gefängnis frei<-Karte.«
»Nein, so ist es nicht«, erwiderte sie leise. »Glaub mir. Schuldgefühl und Entsetzen müssen nicht aneinander gekoppelt sein. Du kannst das eine empfinden, ob du das andere spürst oder nicht.«
»Wie meinst du das?« Er lehnte sich zurück, die Unterarme auf den Sessellehnen, und sah sie aufmerksam an, als habe er etwas gehört, das sie nicht deutlich ausgesprochen hatte. »Du redest überhaupt nicht von der Anhur, stimmt's?«
Und wieder überraschte er sie mit seiner scharfen Wahrnehmung. Helen musterte ihn einige Sekunden, dann schüttelte sie den Kopf.
»Nein. Ich rede von etwas, das mir vor Jahren passiert ist, auf Alterde.«
»Als die Schwätzer dich gekidnappt hatten?«
»Davon weißt du?«, fragte sie verblüfft, und Paulo lachte tatsächlich leise auf.
»Die Geschichte wurde in den Medien ziemlich breitgetreten«, sagte er. »Besonders wegen der Verbindung zu Manpower. Und ich hatte ganz eigene Gründe, mir die Berichte anzusehen.« Erneut flackerte etwas tief in seinen Augen auf. Dann lächelte er. »Und weder dein Vater noch Lady Montaigne haben sich . bedeckt gehalten, seit du nach Hause kamst.« Er wurde wieder ernst. »Ich habe immer vermutet, dass die Reporter nicht die ganze Geschichte zu hören bekamen, aber der Teil, den sie erfuhren, war blutig genug. Es muss ziemlich übel gewesen sein für eine Jugendliche . wie alt warst du damals, vierzehn?«
»Ja, aber das habe ich gar nicht gemeint.« Er wölbte die Brauen, und sie verzog unbehaglich die Schultern. Sie konnte kaum glauben, dass sie Paulo d'Arezzo, ausgerechnet Paulo d'Arezzo etwas berichten würde, von dem sie selbst Aikawa oder Ragnhild nie erzählt hatte. Sie atmete tief durch. »Ehe Daddy und ... die anderen mich und Berry und Lars fanden, waren noch drei Männer dort. Sie hatten Berry und Lars geschnappt, ehe ich dorthin kam. Sie hatten Berry vergewaltigt und verprügelt ... schlimm. Sie wollten sie töten, wahrscheinlich schon sehr bald, glaube ich. Aber das wusste ich nicht, als sie mich angriffen.«
Er starrte sie nun mit großen Augen an, und sie holte wieder tief Luft.
»Ich war schon ziemlich gut im Neuen Stil«, fuhr Helen tonlos fort. »Ich hatte Angst- ich war gerade den Schwätzern entkommen, sie waren hinter mir her, und ich wusste, dass sie mich töten würden, wenn sie mich erwischten. Ich hatte sämtliches Adrenalin der Galaxis im Blut und hätte mich von niemandem zu ihnen zurückschaffen lassen. Als die drei in der Dunkelheit auf mich losgingen, habe ich sie umgebracht.«
»Du hast sie umgebracht?«, wiederholte er.
»Ja.« Sie sah ihm ruhig in die Augen. »Alle drei. Habe ihnen das Genick gebrochen. Ich spüre heute noch, wie die Knochen nachgeben. Und mir war so schlecht, ich ekelte mich vor mir selbst und fragte mich, was für ein Monster ich sei. Die Übelkeit überfällt mich manchmal heute noch. Dann erinnere ich mich, dass ich noch hier bin und noch lebe. Und dass Berry und Lars noch leben. Und ich will ganz ehrlich sein, Paulo - mir ist vielleicht übel, und ich wünsche vielleicht, alles wäre nie geschehen, aber ich fühle mich nicht schuldig, und ich empfinde ... Triumph. Ich kann mir ins Gesicht sehen und sagen, dass ich ohne rumzuschwafeln getan
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