Honor Harrington 5. Im Exil
sie nun aus religiöser Überzeugung oder in dem zynischen Versuch handelten, verlorene Macht wiederzugewinnen, eine organisierte Opposition aus den Reihen der Gutsherren wäre ein gefährlicher Feind – besonders aber dann, wenn sie auch noch einen Anspruch auf Rechtmäßigkeit besäße.
Doch auch Benjamin hielt starke Karten in der Hand. Die masadanische Bedrohung war nach einem halben Dutzend Kriege endlich beseitigt, eine Gefahr, die nur nach den Maßstäben der großen Sternennationen als »nebensächlich« eingestuft werden konnte und mehr als zwei Jahrhunderte präsent gewesen war. Trotz der sozialen Spannungen durch die Reformen und den Krieg gegen Haven boomte Graysons Wirtschaft und erlebte mit jeder neuen Woche weiteren Zuwachs. Aber noch wichtiger, endlich war die moderne Medizin nach Grayson gekommen: nach außen hin weniger spektakulär als die blitzenden Maschinen der ›harten‹ Technik, schenkte sie Menschen wie Mayhews Töchtern und seinem Bruder Michael ein, zwei oder drei Jahrhunderte langes Leben. Benjamin IX. war noch keine vierzig, aber trotzdem zu alt, als daß er noch auf die Prolong-Behandlung angesprochen hätte.
Mit einem gewissen bittersüßen Bedauern nahm er hin, daß er nicht lange genug leben würde, um das Endergebnis seiner Reformen zu sehen. Aber sein Bruder und seine Kinder würden es, und schon das machte ihn schwindeln.
Jeder einzelne dieser Fortschritte war das Resultat von Benjamins Politik, und das wußte das Volk von Grayson. Darüber hinaus war den Menschen klar, daß sie in eine Zeit des Tumults und des Wechsels, der Gefahr und der Unsicherheit geboren worden waren, und wie es die Art der Graysons ist, blickten sie auf die Kirche und die Mayhew-Dynastie. Wenn Lord Burdette darüber hinweggeht , dachte Benjamin grimmig, dann werden ihn die Folgen überrollen.
Aber im Augenblick …
»Also gut, Henry. Gehe ich recht in der Annahme, daß Burdette behauptet, meine ›Machtergreifung‹ würde es rechtfertigen, daß er sich nun gegen die Sakristei stellt?«
»Jawohl, Euer Gnaden.«
»Und auf dieser Grundlage hat er seine eigenen Waffenträger beauftragt, Bruder Jouet festzusetzen?«
Prestwick nickte, und Benjamin schnaubte darauf. »Aber wahrscheinlich hat er nicht erwähnt, daß ich, Usurpator oder nicht, den Antrag auf Entfernung Marchants erst stellte, nachdem die Sakristei mich dazu aufgefordert hatte?«
»Nein, Euer Gnaden, das hat er durchaus erwähnt.«
Mayhew blickte den Kanzler fragend an, und Prestwick machte eine Gebärde mit der offenen Hand. »Wie ich schon sagte, wiederholte er seine Behauptung, die Sakristei befände sich im Irrtum. Tatsächlich ist er sogar weiter gegangen als in seinen ersten Erklärungen. Er behauptet nun, die Rückendeckung durch die gegenwärtige Sakristei für die gotteslästerlichen Wechsel, ›die unseren Glauben und unsere Gesellschaft verdirbt‹, beraube die Sakristei jeden Rechts, ›einen echten Gottesmann zu verurteilen, der lediglich die Pervertierung der gottgegebenen Würde eines Gutsherrnschlüssels durch eine fremdgeborene Ehebrecherin‹ anprangere.« Der Kanzler verzog das Gesicht. »Ich muß mich entschuldigen, Euer Gnaden, aber genauso hat er sich ausgedrückt.«
»Ich verstehe schon.« Benjamin starrte eine Weile ins Leere, und während dessen überschlugen sich seine Gedanken. Burdettes neue, ausgeklügeltere Rhetorik paßte besorgniserregend gut zu Benjamins Verdacht, worauf der Gutsherr letztendlich abzielte. Doch gerade die Geschwindigkeit, mit der Burdette agierte, bedeutete eine Gefahr für dessen Strategie.
Schließlich fuhr der Protector fort: »Ich vermute, Burdette geht davon aus, daß Reverend Hanks mich in jedem Fall unterstützen wird und daß er uns deswegen genausogut gleichzeitig ausschalten kann. Aber selbst einige Gutsherren, die nichts dagegen hätten, wenn ich von der politischen Bühne verschwände, würden davor zurückschrecken, der Sakristei den Krieg zu erklären, und das heißt, daß Burdette die potentielle Opposition bereits gespalten hat.«
»Das ist wohl richtig, Euer Gnaden, aber ebenso könnte er jene gespalten haben, die Sie unterstützen würden. Wie Sie bereits vor vier Jahren deutlich zeigten, hat der Name Mayhew stets am stärksten bei den traditionalistischsten unseres Volkes gewogen – bei den konservativsten. Was wiederum zur Folge haben könnte, daß einige, von denen Sie normalerweise Rückendeckung erhielten, angesichts Ihrer Reformen nun zögern.«
»Hm.«
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