Honor Harrington 5. Im Exil
fuhren blitzschnell hin und her und klaubten die rotierenden Fräsköpfe sauber, damit sie sich nicht durch die Ernte ihres Appetits verklemmten und in pulverisiertem Felsstein erstickten; und unter Hochdruck pulsierte Kühlmittel durch Rohre in den Köpfen, sonst hätten sie sich in Sekundenschnelle überhitzt, und dann wäre sogar diese Legierung geborsten. Die Fräsköpfe rotierten schneller als die Turbinen in Hardings neuem, manticoranischen Flugwagen, und Harding wandte leicht den Kopf, um die Spezifikation auf dem Computerbildschirm mit der tatsächlichen Arbeit des Bohrers zu vergleichen.
An seiner Aufgabe war etwas seltsames Unwirkliches. Harding brauchte nur auf das visuelle Display zu blicken und sah die kreischende Macht des Hochgeschwindigkeitsbohrers, die unglaubliche Gewalt, über die er gebot. Und doch war es in dem klimatisierten Kontrollraum, in dem er saß, fast totenstill; er war völlig isoliert von dem ohrenbetäubenden Ungetüm, und nur er, er allein, wußte – und machte sich Gedanken darum –, was dieses Monstrum in irgendeinem gegebenen Moment genau tat.
Im Raum saß ein halbes Dutzend anderer Arbeiter an den gleichen Kontrolltafeln wie er, aber keiner davon hatte Zeit übrig für Harding. Jeder konzentrierte sich ganz auf seine eigene Maschine, denn die Männer ringsum fühlten sich berufen: Sie brachten ihrer Welt ein weiteres Wunder aus dem manticoranischen High-Tech-Füllhorn und erhielten dafür Einkünfte, die das Gut von Harrington so dringend nötig hatte. Die Arbeiter von Sky Domes waren in lautstarker Weise loyal zu ihrer Gutsherrin, weil sie das Ganze erst ermöglichte und ihnen diese anregende Gelegenheit bot, daran teilzuhaben.
Samuel Harding verstand das gut, denn auch er war dankbar für die Chance, hier sein zu können, denn auch er hatte eine Aufgabe – wenn auch nicht die gleiche wie die anderen Arbeiter bei Sky Domes Ltd. Er gab eine rasche Korrektur in das Terminal und setzte die Parameter der Bohrersteuerung zurück. Die Änderung war nicht groß, aber groß genug. In dem Schacht, den Harding bohrte, würde bald einer der Haupthaltepfeiler der zu errichtenden Kuppel Fuß fassen – aber dieser Schacht würde sich um einen gewissen Betrag von den Vorgaben unterscheiden. Um eine Winzigkeit. Selbst jemand, der erwartete, ein Problem zu finden, würde sehr genau messen müssen, um die Abweichung aufzuspüren.
Die Diskrepanz würde, für sich allein genommen, kaum etwas ausmachen, aber an diesem Nachmittag würde Samuel Harding noch zwei weitere Schächte bohren, und an jedem kommenden Tag fünf mehr, bis das Projekt beendet war. Jeder dieser Schächte würde eine winzige Abweichung aufweisen, und Harding war nicht der einzige, der davon wußte. Sobald die Mannschaften, die an der Baustelle die Pfeiler einsetzten, mit der Arbeit begannen, würden einige unter den Leuten über Listen verfügen, auf denen minuziös verzeichnet war, welche Löcher Harding gebohrt hatte und wie weit sie genau von den Vorgaben abwichen. Die Pfeiler bestanden aus einer ebenfalls manticoranischen Wunderlegierung, und jeder einzelne war ein präzise geformtes Glied in der kompliziert verflochtenen Struktur, die Adam Gerrick und sein Team aus Architekten entworfen hatten. An Ort und Stelle würden sie sich gegenseitig durch Belastung und Gegenbelastung stützen und eine Kuppel bilden mit Wänden, die härter waren als Stahl. Und weil diese Wände elastisch waren und aus zahlreichen einzelnen Pfeilern bestanden, die sich zu einem Ganzen zusammenfügten, wiesen sie eine Flexibilität auf, die sie alles überstehen ließen, ohne daß auch nur eine einzige Crystoplastscheibe einen Riß bekam – außer vielleicht bei einem Erdbeben.
Nur nicht die Pfeiler, die in den Löchern steckten, die Harding gebohrt hatte. Dort fügten sich die Fundamente aus Betokeramik nur fast korrekt in Schächte, die fast korrekt gebohrt waren. Deren Belastungsgrenzen waren zwar fast genauso präzise berechnet wie die ihrer korrekt eingesetzten Gegenstücke, aber zusammengenommen veränderten ihre Abweichungen das Gesamtverhalten der Kuppel entscheidend.
Samuel Harding wußte nicht, ob es bereits während des Baus der Kuppel zum Einsturz käme oder erst, nachdem sie schon eine Weile in Betrieb gewesen sein würde. Aber was unausweichlich geschehen würde, das wußte er genau.
Im Grunde hoffte er, daß bei der Katastrophe nicht zu viele Menschen getötet oder verkrüppelt würden, aber manchmal mußte man eben zu Opfern
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