Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
zu überraschen und nahe heranzukommen, deshalb müssen Sie grundsätzlich sehr aufmerksam sein, besonders dann, wenn Sie glauben, Sie wären allein. Wenn er Sie in die Hände bekommt, stecken Sie in der Tinte, also lösen Sie sich sofort, weichen Sie zurück, greifen Sie wieder an. Was auch immer Sie tun, lassen Sie sich nicht auf seinen Kampfstil ein, denn er kann viel mehr einstecken als Sie. Sie schalten ihn so schnell wie möglich aus, und so schmutzig, wie Sie müssen. Machen Sie sich nicht auf die Suche nach ihm, und fangen Sie nicht selber den Kampf an – Sie wollen schließlich nicht selber auf der Anklagebank landen, oder? Aber sobald er Sie anfaßt, machen Sie ihn fertig, und machen Sie sich nur nicht zu viele Gedanken darüber, wie Sie es anstellen wollen. Solange Sie ihn nicht umbringen, wird Doc Ryder in der Lage sein, ihn wieder zusammenzuflicken. In Anbetracht der Größenunterschiede und der Tatsache, daß er den Kampf angefangen hat, werden Sie nicht allzuviel Ärger bekommen, wenn Sie ihn niederschlagen. Aber wenn Sie so weit kommen wollen, dürfen Sie nicht vergessen, daß Steilman ein harter Brocken ist. Wenn Sie versuchen, ihm Schlag mit Schlag zu vergelten oder ihn die Regeln diktieren lassen, dann gewinnt er. Greifen Sie ihn hart und schnell an, drängen Sie auf eine Entscheidung, und wenn er am Boden liegt, dann lassen Sie ihn nicht etwa in Ruhe, sondern machen weiter, bis Sie sicher sind, daß er so schnell nicht wieder aufsteht, haben Sie mich verstanden?«
»Jawohl, Gunny«, antwortete Aubrey sehr ernst, und wenn der Gedanke, daß er wirklich tun könnte, was Hallowell ihm da gerade beschrieben hatte, noch immer unwahrscheinlich vorkam, so erschien er doch längst nicht mehr absurd.
»Prächtig! Dann auf die Beine, mein Junge, und versuchen Sie diesmal, sich nicht so zu geben wie meine pazifistische alte Tante.«
24
Margaret Fuchien war alles andere als glücklich. Sie stand in der Galerie des Bootshangars Nummer Zwo von RMMS Artemis und beobachtete das Anlegemanöver des VIP-Shuttles. Normalerweise legte man es an Bord der Artemis darauf an, daß Fuchien nicht unglücklich wurde, denn an jeder Ärmelmanschette trug sie vier goldene Streifen, und sie war so nüchtern und abgebrüht, wie man es vom Skipper eines der berühmtesten Passagierschiffe im ganzen Sternenkönigreich nur erwarten konnte. Jede Beförderung, die sie je bekommen hatte, war redlich verdient gewesen, und sie war es gewöhnt, die Dinge auf ihre Weise zu verrichten. Dieses Privileg hatte sie sich mit ihrem Kapitänspatent der Handelsflotte erworben. Aber der Mann und die Frau an Bord jenes Shuttles waren nicht einfach nur zwei weitere Passagiere, sondern diejenigen, die Fuchiens Gehaltsscheck unterschrieben – oder wenigstens autorisierten. Und noch schlimmer: Das Schiff gehörte ihnen auch.
Nein, Fuchien freute sich nicht im geringsten, diese Leute zu sehen, denn sie befuhr seit über fünf T-Jahren mit der Artemis die Strecke nach Silesia und bedurfte nicht der neusten Verlautbarungen der Admiralität, um zu wissen, daß die Lage in der Konföderation erdrutschartig zum Teufel ging. Ausgerechnet jetzt die Verantwortung für beide Angehörige des Hauptmann-Clans übernehmen zu müssen, hatte ihr gerade noch gefehlt zu ihrem guten Glück … allerdings spielten ihre Bedürfnisse für ihre Brötchengeber offenkundig nur eine mehr als untergeordnete Rolle.
Die Zugangsröhre wurde unter Druck gesetzt, und Fuchien setzte ein freundliches Lächeln auf, als Klaus Hauptmann hindurchgestapft kam. Die Artemis war ein Passagierliner; anders als bei einem Frachter oder einem Kriegsschiff erzeugten ihre überdimensionalen Zugangsröhren ein eigenes internes Schwerefeld, damit die Bodenhocker von Passagieren ihr Mittagessen auch da behielten, wohin es gehörte. Der Magnat stieg mit Leichtigkeit durch die Schnittstelle in die Bordschwerkraft des Schiffes. Dort blieb er stehen und wartete, bis seine Tochter herbeigekommen war, dann schritt er zu Fuchien.
»Captain«, sagte er und reichte ihr die Hand.
Fuchien ergriff sie. »Mr. Hauptmann, Ms. Hauptmann. Willkommen an Bord der Artemis .« Sie brachte die Begrüßung ohne Zähneknirschen hervor.
»Vielen Dank«, sagte Hauptmann. Eine andere Frau kam aus der Röhre. Fuchien hatte Ludmilla Adams auf einer früheren Reise des Magnaten kennengelernt, und nun begrüßten sie einander mit einem Nicken und einem knappen Lächeln. Adams hatte ihr Gesicht zu sehr unter Kontrolle, als
Weitere Kostenlose Bücher