Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
Weil Frachter so gut wie immer unbewaffnet fuhren, bedurfte es keiner großen Feuerkraft, um sie zur Aufgabe zu zwingen. Aber an Bord dieser Piratenschiffe befanden sich so viele Waffensysteme, daß kaum noch Raum für die überdimensionalen Lebenserhaltungsanlagen blieb, welche für die sehr umfangreichen Besatzungen von Raidern unerläßlich waren.
Nun, wenigstens erschien es sehr wahrscheinlich, daß man schon bald mehr darüber in Erfahrung brächte. An Bord des ersten Opfers der Vaubon hatte es keine Überlebenden gegeben; Kompensatorversagen und einundfünfzig Sekunden Fluchtbeschleunigung mit über vierhundert Gravos hatten dafür gesorgt. Die Computer des Schiffes waren hingegen intakt. Drei von Commander Harmons LACs hatten fünf Stunden benötigt, um das Wrack einzuholen und zur Wayfarer zu schleppen, und nun werkelten Kommandos aus den Abteilungen von Harold Tschu und Jennifer Hughes in den Systemen. Honor verdrängte den Gedanken an die menschlichen Überreste, zwischen denen die Ermittlungscrews arbeiten mußten, und wandte sich vom Plot ab. Hoffentlich würde sie bald wenigstens ein paar Antworten erhalten.
Mit angespannten Schultern folgte Warner Caslet dem Lieutenant der Marines durch den Gang. Es fiel ihm nicht leicht, sich aufrecht zu halten, und er verfluchte sich für seine Dummheit. Er hatte sein Schiff verloren – die allerschlimmste Sünde, die ein Kommandant überhaupt begehen konnte –, für nichts!
Er biß die Zähne zusammen, bis ihm die Kiefermuskeln schmerzten. Daß er auf Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Informationen das Richtige getan hatte – das moralisch Richtige, dachte er bitter –, war kaum ein Trost. Der Nachrichtendienst hatte nicht einmal davor gewarnt, daß die Manties Q-Schiffe benutzen könnten. Ich habe jede Veranlassung gehabt zu glauben, daß die Wayfarer ein wehrloser Kauffahrer sei, dem ich zu Hilfe gekommen bin , dachte Caslet. Trotz seines Selbsthasses war er nach wie vor überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben – auf Grundlage seines Wissens.
Dennoch vermochte diese Überzeugung ihn weder vor der Selbstverachtung zu bewahren – noch vor den Folgen seines Tuns.
Bis dahin dauert es wenigstens noch etwas , dachte er sarkastisch. Die Volksrepublik verweigerte für die Dauer dieses Krieges den Austausch von Gefangenen. Da die Bevölkerung des Sternenkönigreichs viel kleiner war als die der Republik, nützte ein Austausch Manticore viel mehr als der Volksrepublik, und im übrigen sah Haven keine Veranlassung, der RMN ausgebildetes Personal zurückzugeben. Außerdem müßten wir, um gleichzuziehen, in einem Verhältnis von zwanzig zu eins austauschen! dachte Caslet mit einem Aufblitzen bitterer Belustigung.
Auch wenn es hieß, Manticore behandele Gefangene besser als die Republik, erschien Warner Caslet die Aussicht auf etliche Jahre in einem Lager alles andere als reizvoll. Trotzdem wäre es für seine Gesundheit besser, wenn er dauerhaft in Gefangenschaft bliebe. Die Manticoraner würden ihn immerhin nicht für seine Dummheit erschießen.
Er hatte bereits erwogen, um Asyl zu ersuchen, aber das brachte er nicht über sich, obwohl er wußte, daß viele Volksflottenoffiziere diesen Schritt getan hatten – wie Alfredo Yu, der nunmehr ein Admiral in der Navy von Grayson war. Jeder einzelne dieser Überläufer war ein toter Mann, wenn er je in republikanische Hände fiel; das brauchte nicht eigens ausgesprochen zu werden. Caslet aber konnte aus einem anderen Grund nicht überlaufen. Trotz aller Exzesse des Komitees für Öffentliche Sicherheit, trotz der irrwitzigen Hemmnisse, die das Komitee, seine Kommissare und die SyS der Volksflotte auferlegten, hatte Warner Caslet einen Eid geschworen, als er sein Offizierspatent entgegennahm, und er war ebensowenig imstande, diesen Schwur zu brechen, wie er hätte zulassen können, daß Warneckes Schlächter die scheinbar zivile Crew der Wayfarer vergewaltigte und ermordete. Wie ein Schock übermannte ihn die Erkenntnis, daß er sich für seine Überzeugungen auch von seiner eigenen Sternennation an die Wand stellen ließe.
Caslet blickte auf, als sein Begleiter vor einer geschlossenen Luke stehenblieb. Daneben stand ein Mann, der gewiß kein Manticoraner war. Er trug eine Uniform in zwei Grüntönen und schaute den Lieutenant fragend an.
»Comman … – Bürger Commander Caslet für die Kommandantin«, meldete der Marine. Caslets Lippen zuckten, als der Manticoraner sich verbesserte. Die
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