Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
Hinterhältigkeit, mit der sie den Havie direkt in die Falle gelockt hatte, der zudem auch noch Treffer von den Piraten hatte einstecken müssen. Wenn Hibsons und Tremaines vorläufige Berichte zutrafen, hatte der havenitische Kommandant bei dem Versuch, einen feindlichen Frachter vor Piraten zu schützen, mehr als fünfzig Leute verloren, und ihm seinen Mut dadurch zu lohnen, daß sie ihm das Schiff nahm, erschien ihr als grausame Undankbarkeit.
Doch Honor blieb keine Wahl: Schon die Gegenwart eines havenitischen Leichten Kreuzers in Silesia erforderte eine Überprüfung, und außerdem handelte es sich noch immer um ein Schiff des Feindes. Honor wollte jedoch alles in ihrer Macht stehende tun, um die Verwundeten zu versorgen, die ihre Helfer aus dem ungleichen Gefecht davongetragen hatten. Gleich mit der ersten Pinasse waren Angela Ryder, beide Assistenzärzte und ein Dutzend Sanitäter an Bord des Leichten Kreuzers gegangen.
Nun brachten die Sanitäter mit grimmigen Gesichtern die ersten Schwerverwundeten in die Wayfarer , und Honor trat zur Seite, um ihnen Platz zu machen. Die auf der Galerie allgegenwärtigen Marines bahnten einen direkten Pfad zu den Lifts, und mit Lieutenant Holmes an der Spitze eilten die Sanitäter darauf zu.
Für eine schrecklich lange Zeit hielt der Zug aus zerschmetterten Leibern an, und Honor atmete tief durch, als die nächste Gruppe durch die Zugangsröhre kam. Der Mann an der Spitze trug einen havenitischen Raumanzug mit den Rangabzeichen eines Commanders, und Honor stellte sich vor ihn, als er sich ins interne Schwerefeld der Wayfarer schwang.
»Captain«, sagte sie sehr ruhig. Der drahtige, dunkelhaarige Mann blickte ihr kurz ins Gesicht. Sein Antlitz war kreidebleich, und in seinen Augen stand noch der Schock. Schließlich salutierte er mit äußerster Präzision.
»Warner Caslet, Bürger Commander, VFS Vaubon «, stellte er sich mit monotoner Stimme vor, als durchlitte er einen Alptraum, räusperte sich und wies auf den Mann und die beiden Frauen, die hinter ihm standen. »Volkskommissar Jourdain; Bürgerin Lieutenant Commander MacMurtree, mein Erster Offizier; und Bürgerin Lieutenant Commander Foraker, mein Taktischer Offizier«, sagte er rauh. Honor nickte ihnen nacheinander zu, dann reichte sie Caslet die Hand. Der Havenit blickte mehrere Sekunden lang auf Honors Hand, dann straffte er die Schultern und ergriff sie.
»Commander«, sprach Honor ihn mit gleichbleibend ruhiger Stimme an, während Nimitz reglos auf ihrer Schulter saß, »es tut mir sehr leid. Indem Sie einem Schiff zu Hilfe eilten, obwohl es unter feindlicher Flagge fuhr, haben Sie sowohl Mut als auch Mitgefühl unter Beweis gestellt. Daß Sie von unserer Armierung nicht wissen konnten, macht Ihre Tat angesichts der Chancen gegen Sie nur um so bemerkenswerter. Persönlich bin ich aufrichtig davon überzeugt, daß Sie es mit allen drei Feindschiffen hätten aufnehmen können. Sie dadurch ›belohnen‹ zu müssen, daß ich Ihnen Ihr Schiff nehme, bedaure ich außerordentlich. Sie hätten etwas Besseres verdient, und mir wäre es nur recht, wenn ich es Ihnen geben könnte. So aber kann ich Ihnen nur den Dank meiner Königin und meinen eigenen aussprechen – was auch immer das wert ist.«
Caslet verzog den Mund und nickte steif. Was sollte er auch sagen; über Nimitz empfand Honor sein bitteres Verlustgefühl. In seiner Verlorenheit lag tiefe, bohrende Wut, die sich weniger gegen Honor als vielmehr gegen diesen bitteren Streich des Schicksals richtete, und außerdem empfand er Furcht. Diese Furcht erstaunte sie einen Moment lang, dann hätte sie sich am liebsten selbst getreten. Natürlich: Caslet fürchtete sich nicht etwas, das sie ihm oder seinen Leuten antun könnte; er fürchtete sich vor der Strafe, die seine eigene Regierung ihnen – oder ihren Familien – auferlegen würde. Nun empfand Honor selbst jäh aufflackernde Wut. Dieser Kommandant war ein gewaltiges Risiko eingegangen, um zu tun, was er für seine Pflicht hielt, und dafür sollte er nun einen schrecklichen Preis bezahlen.
Eine Weile schwieg Caslet, dann holte er Luft. »Vielen Dank für Ihren schnellen medizinischen Beistand, Captain Harrington«, sagte er. »Meine Leute …« Ihm versagte die Stimme, und Honor nickte mitfühlend.
»Wir kümmern uns um alle, Commander«, versprach sie ihm. »Mein Wort darauf.«
»Vielen Dank«, sagte er wieder und räusperte sich noch einmal. »Ich weiß nicht, ob Sie schon informiert worden sind, daß
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