Honor Harrington 7. In Feindes Hand
Tonnagen, die beim Aufeinanderprallen von Schlachtwällen vernichtet wurden, fiel der Verlust von Commodore Yeargins Kampfgruppe nicht sonderlich ins Gewicht. Dennoch – hier war etwas Entscheidenderes als Tonnage verloren gegangen. Selbst das schreckliche menschliche Leid erschien daneben zweitrangig. Maßgeblich war vielmehr die Geschwindigkeit, mit der die Kampfgruppe vernichtet wurde – die brutale, effektiv eingesetzte Gewalt, die bei der Allianz und besonders der manticoranischen Navy so leicht nicht in Vergessenheit geraten würde.
Mitnichten war dies der erste Sieg, den die Haveniten errungen hatten, doch gehörte dieser Sieg in eine eigene Kategorie – die Kategorie, von der die RMN bislang geglaubt hatte, sie sei für die ruhmreiche königlich-manticoranische Flotte reserviert und für die unbeholfenen, unterlegenen Stümper der Volksflotte unerreichbar.
Na , dachte Dorcett, da haben wir uns aber gewaltig getäuscht. Der Salvendichte nach zu urteilen, haben die Havies sogar Raketengondeln eingesetzt. Sie haben weiter gedacht als wir, sie haben besser geplant, und sie haben besser geschossen. Wenn ihnen das hier gelungen ist, wo dann noch?
Das wußte die Zerstörerkommandantin nicht. Nur in zweierlei Hinsicht hatte sie im Augenblick keine Zweifel: zum einen, daß sie eine Warnung verbreiten mußte, bevor weitere Schiffe in die Falle fuhren, zu der dieses Sonnensystem geworden war – und zum anderen, daß sie in Zukunft leisten konnte, was immer sie wollte; sie und jeder einzelne Offizier an Bord ihrer drei Schiffe wären von nun an als die Offiziere ohne Fortune bekannt, die dem schlimmsten Desaster in der Geschichte der Royal Manticoran Navy tatenlos zugesehen hatten. Sie waren nicht schuld daran, sie hatten nichts unternehmen können. Trotzdem stand eines fest: Dieser Makel würde haften bleiben.
»Die Rondeau und die Balladeer sind bereit zum Aufbruch, Ma’am«, meldete Lieutenant Commander Dreyfus leise, und Dorcett nickte.
»Gut, Arnie. Senden Sie den Selbstzerstörungsbefehl an alle Sensorplattformen, und dann nichts wie raus hier«, sagte sie.
11
Howard Clinkscales war viel zu alt, um sich im Blickpunkt der Öffentlichkeit noch unbehaglich zu fühlen. Seine Karriere hatte er vor 67 T-Jahren im Dienste des Schwertes begonnen – als gewöhnlicher Rekrut und nicht etwa als Offizierskadett; Clinkscales hatte sich aus dem Mannschaftsrang emporgedient. Im Alter von sechsunddreißig Jahren stand er im Rang eines Brigadiers und leitete den Palastschutz. Zu Beginn der Mayhewschen Restauration war Clinkscales Kommandierender General des Planetenschutzes – eine Stellung, die er schon unter dem Vater Benjamins IX. erhalten hatte – und galt als inoffizielles Mitglied der Herrscherfamilie. Während seiner Laufbahn war er mit Straßenräubern fertig geworden, mit Serienmördern und anderen Psychotikern, mit Attentatsversuchen und Hochverrat – und hatte seine Aufgaben stets spielend gemeistert.
Danach gelang es ihm sogar, auch mit den gewaltigen gesellschaftlichen Veränderungen auf seiner Heimatwelt mühelos zu Rande zu kommen, und niemand, der ihn aus der Zeit vor Graysons Beitritt zur Allianz kannte, hätte ihm dies wohl zugetraut. Bei der Unterzeichnung des Vertrages war Clinkscales fast achtzig Jahre alt, und man hätte Schwierigkeiten gehabt, einen bornierteren Reaktionär zu finden als ihn. Obwohl er gewiß kein Narr war und sich zugute hielt, in seinen acht Jahrzehnten doch das ein oder andere dazugelernt zu haben, hätten auch seine engsten Freunde den General des Planetenschutzes nie als geistig beweglich bezeichnet, und deshalb erwarteten die meisten Menschen von Clinkscales eine gewisse Halsstarrigkeit. Man glaubt von ihm, daß er Reformen eigentlich weit von sich weisen müsse, die die Gesellschaft, wie er sie seit seiner Kindheit kannte, auf den Kopf stellten. Diese Menschen übersahen jedoch die drei Charaktermerkmale, die ihn aus bescheidenen Verhältnissen auf seine exaltierte Position gehoben hatten: unermüdliche Energie, ein unnachgiebiges Pflichtgefühl und eine eiserne Rechtschaffenheit.
Gerade Howard Clinkscales’ Rechtschaffenheit gab den Ausschlag für seine Veränderung. Viele Menschen sind in der Lage, öffentliche Angelegenheiten oder andere Personen mit großer Ehrlichkeit zu betrachten; Clinkscales hingegen gehörte zu den selten anzutreffenden Persönlichkeiten, die diese Rechtschaffenheit auch auf sich selbst auszudehnen verstehen. Das hatte jedoch zur
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