Honor Harrington 7. In Feindes Hand
mit denen sie ihren raschen Aufbruch begründete, nur vorgeschoben waren. Oh, in gewisser Weise entsprachen sie schon der Wahrheit – noch nie hatte Clinkscales erlebt, daß Honor Harrington gelogen hätte; er fragte sich manchmal, ob sie überhaupt wußte, wie man die Unwahrheit sagte. Dennoch, den eigentlichen Grund für ihre Entscheidung hatte sie ihm nicht anvertraut, und das wiederum bereitete dem Regenten Sorge: Lady Harrington war seine Gutsherrin, und zu seinen Aufgaben gehörte es zu wissen, was ihr wann Kummer bereitete. Wie sonst sollte er etwas dagegen unternehmen? Sie hatte sich bislang durch nichts vom Planeten vertreiben lassen, auch nicht durch die Ränke und Mordanschläge der Fanatiker, die unter der Ägide der unbetrauert verstorbenen Intriganten Lord Burdette und Bruder Marchant gestanden hatten; alles, was sie dazu trieb, überstürzt von Grayson aufzubrechen, mußte folglich unbedingt einer näheren Betrachtung unterzogen werden.
Doch auch diese Überlegung konnte sein Unbehagen nur teilweise erklären. Clinkscales bekannte sich selbst gegenüber auch noch die restlichen Gründe für seine Unzufriedenheit ein, während er zusah, wie sich der Shuttle langsam aus dem Himmel herabsenkte.
Obwohl Clinkscales sich mit den Reformen mehr und mehr abfand, die seine Welt weitgehend veränderten, war er im Herzen doch ein altmodischer graysonitischer Patriarch geblieben. Zwar räumte er die Möglichkeit ein, daß es irgendwo in der Galaxis durchaus Frauen geben mochte, die mindestens ebenso befähigt waren wie er, und daß einige von ihnen sogar Töchter des Planeten Grayson sein konnten. Letztendlich aber handelte es sich hierbei um ein intellektuelles Zugeständnis; sein emotionales Empfinden blieb davon unberührt. Denn Howard Clinkscales’ Gefühle zogen in dieser Hinsicht nur in einem konkreten Fall nach: Er mußte die fragliche Frau kennenlernen und miterleben, wie sie ihre Kompetenz demonstrierte. Ihm stand klar vor Augen, wie töricht und gönnerhaft er sich verhielt, aber so und nicht anders war er. Clinkscales bemühte sich nach Kräften, diese Grundhaltung zu überwinden, und sosehr sie auch seine Ansichten beeinflußte, sowenig gestattete er ihr, auf sein Handeln abzufärben. Längst war er zu dem Schluß gekommen, seine Vorurteile seien zu sehr Bestandteil seiner gesellschaftlichen Prägung, als daß er hoffen dürfe, sich jemals völlig von ihnen zu befreien. Genau das aber war hier und heute das Problem: Der Shuttle, der gerade zur Landung ansetzte, beförderte eine Person, von der Clinkscales genau wußte, daß es sich um einen der klügsten, fähigsten Menschen handelte, die er jemals kennenlernen würde – und um eine Frau. Außerdem war sie die Mutter der Gutsherrin und daher, ob sie es nun ahnte oder nicht, eine der zwei- oder dreihundert wichtigsten Personen auf ganz Grayson. Clinkscales’ Anspannung verringerte sich angesichts dieses Umstands nicht gerade; der Ruf des Planeten, auf dem Lady Harringtons Mutter geboren und aufgewachsen war, wirkte sich in dieser Hinsicht sogar kontraproduktiv aus.
Dr. Allison Chou Harrington stammte von dem Planeten Beowulf im Sigma-Draconis-System, und von Beowulf hieß es, bei den dortigen … liberalen Moralvorstellungen rollten sich sogar einem Manticoraner die Fußnägel auf; und welche Reaktion allein der Gedanke bei einem Grayson auslöste, daß dort alle denkbaren Partnerschaftsarrangements nebeneinander existierten … Clinkscales vermutete jedoch stark, daß Beowulfs Ruf durch ständige Wiedergabe überlebensgroß geworden war. Doch ließ sich kaum abstreiten, daß der Planet für seine mannigfaltigen und überaus einfallsreichen sexuellen Konstellationen bekannt war, die alle den legalen Status der Ehe besitzen konnten. Ebenso bekannt war er jedoch auch dafür, die besten medizinischen Forscher der Menschheit hervorzubringen. Zudem …
Der Shuttle war gelandet. Die Luke öffnete sich, und Clinkscales wandte sich der Gegenwart zu. Er beobachtete, wie die Rampe ausfuhr, drehte den Kopf und grinste Miranda LaFollet gezwungen zu. Sie erwiderte das Lächeln mit einer Mischung aus Belustigung und Mitgefühl; der Baumkater, der neben ihr saß, blickte fröhlich. An Farragut lernte Clinkscales immer wieder neue Seiten kennen, hatte aber bereits bemerkt, daß er in Sachen Humor Nimitz sehr ähnelte. Nimitz hatte wenigstens vierzig Jahre lang mit Menschen zu tun gehabt und dadurch einen gewissen Schliff erlangt, den Farragut sich noch aneignen
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