Honor Harrington 7. In Feindes Hand
Folge, daß er die Augen ebensowenig vor der unangenehmen Wahrheit verschließen konnte, wie er ohne Kontragravgürtel zu fliegen vermochte.
Deshalb hatte Benjamin IX. ihn zum Regenten Honor Harringtons ernannt. Clinkscales’ Pflichtgefühl diente als des Protectors Versicherungspolice: völlig undenkbar, daß Howard Clinkscales für Gut und Gutsherrin weniger als sein Bestes leistete. Weil alle anderen Konservativen auf dem Planeten wußten, daß Clinkscales ihre Ansichten teilte, war er als Regent des Guts von Harrington so gut wie unersetzlich. Denn wenn sogar er seine Pflicht tun und mit Veränderungen leben konnte, die er persönlich ablehnte, dann mußten auch die anderen Konservativen damit zurecht kommen – soweit zumindest die Theorie Benjamins IX.
Ganz nach der Vorstellung des Protectors hatte es sich freilich nicht entwickelt. Gewiß wirkte Clinkscales’ Vorbild auf die Vernünftigen unter den Konservativen; die echten Fanatiker ließen sich jedoch nicht abhalten, Pläne gegen Honor und die Mayhewschen Reformen zu schmieden. Menschen, die zu Hochverrat bereit sind, lassen sich durch die Ernennung einer politischen Galionsfigur grundsätzlich nicht im Zaum halten. Immerhin zeigte die Ernennung einen Nebeneffekt, den Benjamin niemals erwartet hatte und den er, wäre er ihm in den Sinn gekommen, als unmöglich abgewiesen hätte. Aus Clinkscales war zwar nicht gerade ein eifriger Reformer geworden – welch absonderliche Vorstellung –, aber er hatte die Veränderung seiner Welt letztendlich als vorteilhaft erkannt. Zu diesem Meinungsumschwung hatte ihn seine regelmäßige Zusammenarbeit mit Honor Harrington veranlaßt; die Oberaufsicht über die vielen Details, die mit dem Aufbau des ersten neuen graysonitischen Guts seit über zweiundsiebzig T-Jahren verbunden waren, eröffnete ihnen eine neue Perspektive. Clinkscales war gezwungen, sich einer Frau zu stellen, die ihm in puncto Fähigkeiten, Mut und – vielleicht dem wichtigsten von allem – an Pflichtgefühl gleichkam, wenn nicht sogar übertraf; er war es, der das Gut von Harrington aufbaute, und dazu mußte ausgerechnet Howard Clinkscales die Mayhewschen Reformen in die Tat umsetzen.
Daß er so spät im Leben noch so anpassungsfähig war, sprach sehr für ihn, obwohl er persönlich diese Eigenschaft mit anderen Augen sah: Soweit es ihn betraf, war er nach wie vor ein Konservativer, der versuchte, die Reformer in ihren radikaleren Ansinnen zu dämpfen. Doch so weit, so gut. Tatsächlich war er der Masse etliche Schritte voraus, und bei mehr als einer Gelegenheit hatte Honor sanfte Belustigung über seine zornigen Reaktionen auf ›Unruhestifter‹ empfunden, die sich dem Wandel in den Weg stellten und versuchten, die Entwicklung aufzuhalten.
Hätte jemand den Mut aufgebracht, Howard Clinkscales zu fragen, weshalb er die Veränderungen unterstütze, so wäre die Antwort recht einfach ausgefallen: weil er es seiner Gutsherrin schuldig sei. Bei weiterem Nachfragen hätte er eingeräumt (nach einem cholerischen Ausbruch und etlichen einschüchternden Blicken), nicht nur aus einem Pflichtgefühl heraus zu handeln, sondern auch aus Ergebenheit gegenüber einer Frau, der er mittlerweile tiefen Respekt entgegenbringe. Niemals zugegeben hätte er indes, daß er seine Gutsherrin mittlerweile in eigenartig zahlreichen Facetten sah: als Soldat, als Anführerin, als seine Feudalherrin – und außerdem mit den Augen eines Vaters, als ob sie eine seiner Töchter wäre. Der alte Mann war stolz auf Honor Harrington, als wäre sie tatsächlich sein eigen Fleisch und Blut; doch hätte sich jemand erdreistet, dergleichen anzudeuten, so hätte Howard Clinkscales ihn umgebracht. Denn wie so viele Menschen, die anderen wahrhaft tiefes Gefühl entgegenbringen, war Howard Clinkscales sehr darauf bedacht, seine Empfindungen vor der Welt verborgen zu halten. Gefühle sind für einen Polizisten eine gefährliche Schwäche, und wer zum Oberkommandierenden aller Sicherheitskräfte des Planeten Grayson wurde, der lernte, sie zu tarnen, damit man sie nicht gegen ihn verwendete. Diese Verhaltensweise hatte Clinkscales nie ablegen können – was jedoch nicht hieß, daß er sich seiner Gefühlslage nicht bewußt gewesen wäre.
Bei dem bevorstehenden öffentlichen Auftritt war ihm wohl gerade deswegen so unbehaglich zumute. Eigentlich hätte seine Gutsherrin zu diesem Anlaß persönlich erscheinen sollen. Clinkscales’ Menschenkenntnis hatte ihm verraten, daß die Sachzwänge,
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