Honor Harrington 7. In Feindes Hand
rechten Wange zeigte sich ein Grübchen. »Schließlich ist er dein Sohn. Und im Gegensatz zu Andrew paßt du unter den Sitz.«
Samantha hob den Kopf und blickte Honor mit funkelnden grünen Augen an. Sie gähnte träge und entblößte dabei schneeweiße, nadelspitze Zähne. Zwei weitere spitzohrige Köpfchen, beide wesentlich kleiner als Samanthas, erhoben sich schläfrig aus dem warmen Fell der Mutter, die sich liebevoll um ihre Jungen geringelt hatte, um sie wie in einem Nest zu behüten. Samantha streckte eine Echthand aus und drückte die Köpfchen sanft wieder hinunter. Dann blickte sie den größeren, grau-cremefarbenen Baumkater an, der es sich auf Honors Schoß bequem gemacht hatte. Honor spürte den schwachen Nachhall eines tiefen, komplizierten geistigen Austauschs, als Nimitz seinerseits den Kopf hob und Samantha anblickte. Keiner der anwesenden Menschen hätte sagen können, was Samantha mit ihrem Partner besprach – denn niemand außer Honor bemerkte den Austausch, aber jeder begriff, was Samantha verlangt hatte, als Nimitz seinerseits einen Seufzer ausstieß, zustimmend mit den Ohren schlug und sich aufs Deck gleiten ließ.
Auf allen sechs Gliedmaßen sauste er den Gang entlang und blieb neben dem Sitz stehen, unter den LaFollet vergebens zu kriechen versucht hatte. Er kreuzte die Echthände auf dem Deck, stützte das Kinn darauf und spähte unter den Sitz. Erneut spürte Honor das Echo fremder Gedanken. Zudem empfand sie Nimitz’ gemischte Gefühle: Amüsiertheit, Stolz und Ärger, als er den Abenteuerlustigsten aus seinem Nachwuchs ansprach.
Soweit Honor wußte, war vor ihr noch kein Mensch in der Lage gewesen, die Gefühle einer Baumkatze zu spüren, und erst recht hatte es niemand vermocht, mit Hilfe einer adoptierten Baumkatze die Empfindungen anderer Menschen wahrzunehmen. Trotz der beispiellosen Stärke ihres telepathischen Links zu Nimitz blieb die Verbindung indes zu undeutlich, als daß sie seine Gedanken hätte empfangen können. Dennoch bemerkte sie, daß er sich diesmal Zeit nahm, seine Gedanken sehr klar und deutlich zu formulieren. Honor vermutete, daß er die telepathische Botschaft so einfach wie möglich hielt – was durchaus Sinn ergab, weil er sie an ein Baumkätzchen richtete, das kaum vier Monate alt war.
Mehrere Sekunden lang geschah nichts, dann spürte Honor das geistige Gegenstück eines resignierten Seufzers, und ein winziges Ebenbild Nimitz’ streckte den Kopf unter dem Sitz hervor. James MacGuiness, Honors persönlicher Steward, hatte das Kätzchen Jason getauft, um die Furchtlosigkeit hervorzuheben, die es bei seinen Entdeckungsreisen immer wieder bewies. Honor räumte ein, nicht bedacht zu haben, daß die wunderbare neue Umgebung der Pinasse Jason durch ihre Rätselhaftigkeit zu einem Aufklärungsvorstoß verleiten würde. Ihr wäre ein nicht ganz so neugieriger Jason lieber gewesen, doch gerade Neugierde war ein Charaktermerkmal aller Baumkatzen – ganz besonders aber der Jungen. Tatsächlich war der Erkundungsdrang im gesamten Nachwuchs von Nimitz und Samantha entsetzlich ausgeprägt – Jason war nur der schlimmste Fall. Er neigte zu kühnen Einzelaktionen, die seinem Namen alle Ehre machten. Honor fragte sich oft, wie Baumkatzen bei dieser Neugierde überhaupt lange genug in der Wildnis überleben konnten, um das Erwachsenenalter zu erreichen. Dieser Wurf jedoch befand sich nicht in der Wildnis, und jeder Mensch an Bord der Pinasse wußte, daß er auf die Kätzchen achtzugeben hatte.
Das wußten die Baumkatzen ebenfalls. Noch während Honor zusah, wie Nimitz mit einer beweglichen, langfingrigen Echthand den kleinen Jason aufnahm, erblickte sie aus dem Augenwinkel eine weitere braun-weiße Baumkatze, die über die Sitze springend ein viertes Kätzchen zurückbrachte. Honor erkannte das Kleine als Achilles, Jasons kaum weniger verwegenes Brüderchen. Sie lächelte wieder, während das Kindermädchen ihn zu seiner Mutter zurückbrachte, auch wenn Jason sich auf dem ganzen Weg protestierend wand und krümmte.
Honor überlegte, ob MacGuiness überhaupt ahnte, wie selten sich solch ein Anblick dem menschlichen Auge bot. Baumkatzen, die einen Menschen adoptierten, gingen nur sehr selten eine Partnerschaft ein, aus der Nachwuchs entsprang, und wenn doch, dann kehrten die Mütter unausweichlich vor der Geburt zu ihrem eigenen Clan oder dem ihres Partners zurück und zogen die Kinder gemeinsam mit den anderen Weibchen auf. Nur eine Handvoll Menschen, die nicht zur
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