Honor Harrington 7. In Feindes Hand
Wichtigkeit überall in Begleitung von Leibwächtern auf, und ihr Propagandaministerium entwarf Lügen, um jede Behauptung zu stützen, die dem Komitee für Öffentliche Sicherheit nutzte; eine solche Frau stellte einen noch schlechteren Paladin des Proletariats dar als Thomas Theisman. Sie mußte einfach wissen, daß sie log, oder ihre Lügen wären nicht so gekonnt und konsistent gewesen.
Doch es gab noch eine andere Erklärung, und die war fast so furchteinflößend wie wahrscheinlich. Sollte es möglich sein, daß Ransom nach so vielen Jahren in einer Position uneingeschränkter Macht den Bezug zur Realität verloren hatte? Nach so vielen Jahren, in denen sie stets gerade das, was ihr zupaß kam, zur offiziellen Wahrheit erklärt hatte? Theisman hatte Offiziere aus mächtigen Legislaturistenfamilien gekannt, die einer ganz ähnlichen Blindheit zum Opfer gefallen waren. Diese Leute hatten genau gewußt, daß ihre abgelieferten Berichte nur beiläufige Ähnlichkeiten zur Wahrheit aufwiesen, doch angesichts des Einflusses ihrer Familien hatte niemand es gewagt, die Berichte anzuzweifeln. Im Laufe der Jahre hatte sich ergeben, daß diese Leute auf zwei Ebenen arbeiteten: einer, auf der sie ihre Vorgesetzten belogen, um ihre kleinen Privatimperien zu schützen, und einer weiteren, auf der sie aufrichtig glaubten, sie könnten etwas zur Wahrheit erheben, indem sie behaupteten, so sei es und nicht anders.
Wer in der ganzen Volksrepublik von Haven konnte es sich leisten, Cordelia Ransom zu sagen, wann sie unrecht hatte? Außer Rob Pierre und Oscar Saint-Just gab es keine Gleichgestellten, und die Unterdrückungsmaschinerie des Amts für Systemsicherheit stand ihr zur Verfügung. Das Evangelium des Ministeriums für Öffentliche Information in Frage zu stellen, bedeutete Hochverrat, um Gottes willen!
Und Thomas Theisman erkannte zu seiner Erschütterung, daß Cordelia Ransoms Wahnsinn noch tiefer reichte, als er anfänglich befürchtet hatte. Zumindest ein Angehöriger des Triumvirats, von dem seine Sternennation regiert wurde, sah die Feinde der Republik mittlerweile nur noch durch das Kaleidoskop der eigenen Erfindungen verzerrt und traf auf dieser Grundlage Entscheidungen – Entscheidungen, die für die Republik Überleben oder Untergang bedeuten konnten!
»Ich darf nicht stellvertretend für jeden Offizier der Volksflotte sprechen, Bürgerin Minister«, fuhr er nach einer Pause fort, von der er hoffte, daß sie sich nicht gefährlich lang ausgedehnt hatte, »aber von mir selbst kann ich behaupten, niemals bezweifelt zu haben, daß das Vorgehen des Militärs von ziviler Stelle kontrolliert werden muß.«
Theisman hatte seine Worte mit außerordentlicher Sorgfalt gewählt, denn er war sich bewußt, in seinem ganzen Leben noch nie in so großer Gefahr geschwebt zu haben. Irgend jemand aber mußte Ransom dazu bewegen, wieder eine Politik zu verfolgen, die wenigstens ansatzweise auf einer rationalen Grundlage beruhte, und anscheinend war er im Moment der einzige, dem sie zuhörte. Eine große Hilfe waren ihm seine Übelkeit und sein hämmernder Schädel dabei nicht gerade. Theismans Hände fühlten sich klamm an, und doch verlieh die Furcht seinen Gedanken die Schärfe eines Rasiermessers.
»Meine Sorge um die Beachtung der Deneber Übereinkünfte entspringt dem Eindruck, den ich von den Positionen der solarischen Inspektoren erhalten habe, und – wenn Sie mir diese offenen Worte vergeben –, der politischen Orientierung, die mich geprägt hat.« Und das entsprach der Wahrheit, wenngleich nicht der Wahrheit, die Ransom vermutlich im Sinn hatte.
»Welcher ›politischen Orientierung‹?« erkundigte sie sich mißtrauisch.
»Offiziell hat die Öffentliche Information stets betont, daß die VRH alle Kriegsgefangenen ›ordentlich‹ behandeln wird, und unter ordentlich verstehen die meisten Sternennationen nun einmal einen Umgang, der mit den Deneber Übereinkünften in Einklang steht. Zwar haben wir in der Tat niemals ausdrücklich gesagt, uns daran halten zu wollen, doch mit Sicherheit erschien es, als hätten wir genau das gemeint. Ich weiß aus eigenen Gesprächen mit Vertretern der Liga, daß man unsere Erklärung dementsprechend aufgefaßt hat. Ich bin mir bewußt, wie wichtig die Rolle der Desinformation in Kriegszeiten ist, aber ich habe keinerlei Anweisungen erhalten, aus denen hervorgegangen wäre, daß wir in diesem Fall eine Täuschung beabsichtigt hätten. Deshalb konnte ich unter den gegebenen
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