Honor Harrington 7. In Feindes Hand
führen einen Krieg der Klassen, einen revolutionären Kampf, dessen einzig akzeptabler Ausgang nicht in der Niederlage, sondern nur in der Auslöschung unserer Feinde bestehen kann! Denn wenn wir sie diesmal nicht ein für allemal beseitigen, dann werden sie uns zermalmen und uns wieder ihr ausbeuterisches Regime aufzwingen. Das einzige – das absolut einzige –, was noch zählt, ist der Sieg, und nur ein Volk, das die politische Vision und die Willenskraft besitzt, sich das einzugestehen, hat überhaupt noch eine Überlebenschance. Nun, das Komitee für Öffentliche Sicherheit hat diese Vision, und wir weigern uns, ein Werkzeug oder eine Handlungsoption aufgrund eines wertlosen Stückes Papier wegzuwerfen, das wir nie unterzeichnet haben!«
Thomas Theisman fragte sich, ob die Inhalation überhaupt gewirkt habe, denn ihr Eifer wirkte so … echt auf ihn. Aber das war doch albern – oder? Was Ransom gerade gesagt hatte, stimmte völlig mit der offiziellen Linie der republikanischen Propaganda überein; aber die Frau, die für die Präsentation dieser Linie verantwortlich war, mußte es doch besser wissen, als an die eigene Agitation zu glauben!
»Theoretisch kann ich Ihnen nicht widersprechen, Bürgerin Minister«, antwortete er behutsam, »aber ich glaube, daß man gewisse praktische Konsequenzen nicht übersehen darf. Diese Konsequenzen sind zudem taktischer, nicht moralischer Natur.«
Ransoms Mund verengte sich unheilverkündend, aber sie unterbrach Theisman nicht, der sich mit einer Hand die pochenden Schläfen massierte und noch vorsichtiger weitersprach.
»Konkret meine ich damit folgendes, Ma’am. Wir müssen berücksichtigen, daß die einfachen manticoranischen Soldaten tatsächlich an das System glauben, für das sie kämpfen, und die Deneber Übereinkünfte als wichtigen Teil dieses Systems begreifen. Wenn wir sie verletzen …«
»Unsinn!« fiel ihm Ransom ungeduldig ins Wort. »Ja, ohne Zweifel glauben viele der feindlichen Berufssoldaten an dieses Geschwätz – diejenigen, die schon vor dem Krieg im Dienst der Streitkräfte standen. Schließlich handelt es sich um nichts anderes als Söldner, die dumm genug sind, um freiwillig den imperialistischen Ausbeutern ihres eigenen Volkes zu dienen – und wenn sie nicht dumm sind, dann sind sie verblendet oder gierig genug! Aber seit Kriegsausbruch ist Manticore gezwungen, Personal aus den Volksmassen zu rekrutieren, und je länger der Konflikt andauert, desto größer wird der Anteil der Wehrpflichtigen in den Reihen der manticoranischen Streitkräfte, genau wie bei uns. Die Wehrpflichtigen jedoch werden den Lügen der Elite keinen Glauben schenken! Vielmehr werden sie begreifen, daß man sie zum Nutzen ihrer natürlichen Feinde in einem Krieg gegen Ihresgleichen verheizt, und dann werden sie sich gegen ihre Herren auflehnen, wie wir uns gegen unsere Unterdrücker erhoben haben!«
Theisman zuckte zusammen. Diese körperliche Reaktion konnte er nicht verhindern, denn soeben hatte er ein furchteinflößendes Geheimnis entdeckt: Cordelia Ransom glaubte an ihre eigene Propaganda.
Er saß völlig regungslos auf seinem Stuhl und wünschte inbrünstig, sich nicht ausgerechnet an diesem Abend betrunken zu haben. Krampfhaft bemühte er sich, seine Gedanken zu klären. Sie kann doch nicht ernsthaft daran glauben , hielt er sich vor. Oder doch? Sollte es wirklich möglich sein, daß Cordelia Ransom glaubt, was sie den Proles erzählt?
Nein, entschied er. Was die Manipulation der Massen anging, war sie eine wahre Meisterin. In den frühen Tagen der Revolution hatte sie den Kurs angesichts der veränderlichen Launen und Wünsche des Pöbels zu oft und zu abrupt gewechselt, um eine echte Ideologin zu sein; zudem war sie dafür stets zu erfolgreich gewesen in ihren Versuchen, den nächsten Stimmungsumschwung vorherzuahnen.
Na gut, Thomas, das verrät dir aber nur, wer sie mal gewesen ist. Das ist nun etliche Jahre her – Jahre, in denen sie dem Willen des Mobs ihren Stempel aufgedrückt hat. Heute braucht sie keinen Stimmungsumschwung mehr vorherzuahnen; heute bestimmt sie , wohin die Stimmung umschlägt .
Bei diesem Gedanken krampfte sich sein aufgewühlter Magen erneut zusammen, und doch bestand eine grundsätzliche Unvereinbarkeit zwischen dem Bild der zynischen Manipulantin, die Ransom gewiß war, und dem Bild einer leidenschaftlichen Ideologin, die wirklich an die Zeilen glaubte, die sie gerade deklamiert hatte. Ransom kreuzte zum Beweis der eigenen
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