Honor Harrington 7. In Feindes Hand
laufenden, ja, an allen Baumkatzen, die es nach Grayson verschlagen hatte, nahm sie lebhaft Anteil. Miranda fragte sich manchmal, ob sie in diesem Punkt wohl eine Gemeinsamkeit mit ihrer Tochter zeigte, doch wo immer der Grund zu suchen war, Dr. Harrington empfand aufrichtiges, tiefes Interesse an den ‘Katzen. Miranda legte größten Wert darauf, ihr alles Wissenswerte oder Amüsante – letzteres war im Moment besonders wichtig – weiterzugeben, und freute sich schon darauf, ihr von dem ausgeklügelten Streich zu erzählen, den Farragut und Hood dem Chefgärtner am Morgen gespielt hatten.
Plötzlich verschwand Mirandas Lächeln – etwas stimmte nicht. Sie benötigte etliche endlose Sekunden, um sich klar zu machen, was ihr so seltsam vorkam. Als sie es erkannte, traf es sie mit Gewalt, und von Entsetzen erfüllt sprang sie von der Bank auf. Noch nie hatte sie Allison so gehen sehen. Schwung und Energie, ja die Lebensfreude, ein integraler Bestandteil ihrer Persönlichkeit, waren verschwunden; sie bewegte sich schwerfällig und mechanisch, als arbeiteten ihre Beine nur deshalb, weil sie keine andere Wahl hatten, oder als wäre es ihrer Besitzerin gleich, wohin sie ging; als würde sie blind und ziellos weitergehen, bis sie schließlich an ein Hindernis kam, das sie stoppte.
Miranda blickte Farragut an. Die Augen des ‘Katers ruhten auf Allison. Er hatte die Ohren flach an den Kopf gelegt, und ein gespenstisch tiefes, leises Fauchen regte sich in seiner Kehle. Er spürte den Blick seiner Person und sah kurz hoch: Seine grünen Augen hatten sich verdüstert. Sofort richtete er, ohne einmal zu blinzeln, seine volle Aufmerksamkeit wieder auf Allison. Verunsichert blickte Miranda um sich. Was ging hier vor? Als wie durch Magie eine der erwachsenen Baumkatzen nach der anderen erschien, bis sie alle versammelt waren, verkrampfte sich Mirandas Magen vor Anspannung. Die ‘Katzen schoben sich aus dem Gebüsch hervor, hoppelten über die Äste herbei und sprinteten Wege entlang. Jede von ihnen – jede einzelne – hielt die Augen mit der gleichen drängenden Intensität wie Farragut auf die Mutter der Gutsherrin gerichtet.
Langsam und kraftlos schritt Allison näher. Miranda hob die Hand und kämpfte das Gefühl formlosen Entsetzens nieder. Beiläufig fragte sie sich, inwiefern ihre heftige Reaktion auf die Bewegungen Allisons zurückzuführen sei und wieweit es sich – wenn überhaupt – um eine Resonanz dessen handelte, was die Baumkatzen empfanden. Welche Rückkopplung hatte ein Mensch von neun erwachsenen, sehr besorgten Baumkatzen zu erwarten? Miranda schob den Gedanken beiseite und legte Allison die Hand auf die Schulter.
»Mylady?« Miranda vernahm die Furcht in ihrer eigenen Stimme, obwohl sie nicht hätte sagen können, was die Quelle dafür war. Bei der Berührung blieb Allison stehen, und einen Augenblick lang glaubte Miranda, ihre Stimme sei ungehört geblieben – oder daß Dr. Harrington so tief in ihrem Schmerz versunken war, daß sie niemandem Beachtung schenken konnte. Dann blickte Allison auf. Als Miranda die völlige Trostlosigkeit in den mandelförmigen Augen sah, schnürte ihr die Furcht die Kehle zu.
»Was ist denn geschehen, Mylady?« fragte sie; sie klang harsch und drängend. Allison hob eine Hand und berührte Mirandas Finger auf ihrer Schulter.
»Miranda«, sagte sie mit stumpfer, lebloser Stimme, die kaum wiederzuerkennen war.
»Was ist geschehen, Mylady?« fragte sie sanfter, und plötzlich bebten Allisons Lippen.
»Ich habe gerade …« Sie verstummte und schluckte. »Es war im HD«, erklärte sie schließlich. »Ich – ich habe gerade die Nachrichten gesehen. Nach Meldung einer Agentur in der Liga … von den Havies …« Ihr versagte die Stimme, und sie konnte nicht mehr tun, als vor Miranda zu stehen und aus riesigen, gepeinigten Augen zu ihr hochzustarren.
»Was besagte denn die Meldung?« fragte Miranda vorsichtig, als ob sie mit einem sensiblen Kind spreche. Allison Harrington verlor die Beherrschung über ihr Gesicht, und Mirandas Furcht verwandelte sich in Entsetzen.
25
Als Scotty Tremaine mit den isometrischen Übungen fertig war, wischte er sich den Schweiß mit einem der kratzigen Handtücher vom Gesicht, die man den Gefangenen zur Verfügung gestellt hatte. Das Handtuch war ungefähr so saugfähig wie ein Stück Plastikplane, aber vermutlich mußten die Manticoraner sich sogar dankbar schätzen, überhaupt welche erhalten zu haben. Mehr hatte man ihnen
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