Honor Harrington 7. In Feindes Hand
ihrem Innersten. Auf zwei Ästen der Alterdeneiche lagen Samantha und Hera ausgestreckt; nur ihre Schweifspitzen zuckten: Sie bewachten die ‘Kätzchen. Cassandra und Andromeda beschlichen unter Artemis’ Anleitung ihre Brüder im Unterholz. Alles erweckte den Anschein von Normalität. Miranda hatte indes James MacGuiness’ Rückkehr nach Grayson miterlebt und zugesehen, wie er vor Samantha trat. Sie hatte Farragut in den Armen gehalten und seine Anspannung gespürt, während der Steward Samantha vom Schicksal ihres Partners berichtete.
Kein Beobachter dieser Szene, der schon einmal in Frage gestellt hatte, ob Baumkatzen die menschliche Sprache verstanden, hätte daraufhin noch irgendwelche Zweifel gehegt. Als MacGuiness hereinkam, überfielen Samantha, die eindeutig den Gefühlsaufruhr des Stewards spürte, Unruhe und Anspannung – nicht etwa, daß man eine empathische Begabung benötigt hätte, um zu spüren, was in MacGuiness vorging. Allen Zuschauern verkündete sein abgehärmtes, graues Gesicht, was er empfand, und er ließ sich vor Samantha auf die Knie sinken. Die ‘Katz richtete sich kerzengerade auf, und MacGuiness berichtete.
Bis an ihr Lebensende würde Miranda diese Szene nicht vergessen. Sie hatte die schlechte Nachricht schon vorher erhalten und wußte, daß ihr Bruder und ihre Gutsherrin vermißt wurden. Trotzdem war ihr eine große, liebevolle Familie geblieben – und Farragut. So schrecklich die Nachricht war, Miranda hatte Menschen, die Anteil nahmen, und Arbeit, mit der sie sich ablenken konnte. Samantha hingegen hatte ihren adoptierten Menschen kaum zwanzig T-Monate zuvor verloren. Nun waren ihr Partner und dessen Person verschollen, und das Gefühl der Einsamkeit in den Augen der Baumkatze wollte Miranda schier das Herz zerreißen. Die anderen ‘Katzen einschließlich Farragut scharten sich um Samantha, umgaben sie mit der körperlich spürbaren Wärme ihrer Leiber und schenkten ihr zugleich die tiefere, innere Wärme ihrer Gegenwart. Doch Empathin hin, Telepathin her, in diesem Moment war Samantha allein.
In gewisser Hinsicht bedeuteten die endlosen Tage, die seither verstrichen waren, einen Segen, denn sie hatten das Unmittelbare abgestumpft. Die Zeit heilt zwar längst nicht alle Wunden, doch niemand – weder Mensch noch Baumkatze – kann trotz allen Schmerzes den Augenblick des schrecklichen Verlustes unbegrenzt ausdehnen. Wie Miranda hatte auch Samantha eine Familie: den Rest des kleinen graysonitischen Clans und ihre Kinder. Bei ihnen suchte sie so verzweifelt Zuflucht wie Miranda bei ihrer eigenen Familie. Die ‘Katzen vergaßen auch MacGuiness nicht. Eindeutig erkannten sie sein Bedürfnis, sich an eine ›Familie‹ zu wenden, und so wurde ihm von den Erwachsenen immer ein Kätzchen gebracht, das in den Schlaf gewiegt werden wollte, oder ein anderes Problem tat sich auf, das nur von ihm gelöst werden konnte. Die Baumkatzen wachten so aufmerksam über MacGuiness wie über Samanthas Nachwuchs, und Miranda sorgte dafür, daß das Personal von Harrington House sich ähnlich verhielt. Keiner von Lady Harringtons Leuten hätte je zugegeben, daß sie MacGuiness absichtlich beschäftigt hielten, doch in Wirklichkeit hingen sie an ihm fast ebensosehr wie an der Gutsherrin, und auf ihn acht zu geben bedeutete quasi das Versprechen an Lady Harrington, daß ihr Haus und ihr Gut allzeit auf ihre Rückkehr vorbereitet wäre.
Farragut hob den Kopf von ihrem Schoß. Miranda schaute sich um, um zu sehen, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Als sie die neuste Angehörige des Guts von Harrington den Weg entlang auf sich zugehen sah, spielte ihr ein schelmisches Lächeln um die Mundwinkel. In mancherlei Hinsicht hätte Dr. Harrington zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt auf Grayson ankommen können, und doch war Miranda für ihre Anwesenheit zutiefst dankbar.
Die Mutter der Gutsherrin hatte sich mit einer Energie in den Aufbau der Klinik gestürzt, die nicht weniger beeindruckend war als die ihrer Tochter. Die Ergebnisse konnten sich sehen lassen. In den vergangenen Jahren waren zahlreiche manticoranische Ärzte auf den Planeten Grayson gekommen, darunter fast ein Drittel Frauen. Der gewaltige Unterschied zwischen der modernen Medizin und dem Stand, auf dem sich Grayson vor dem Beitritt zur Allianz befunden hatte, trug sehr dazu bei, eventuelle Vorurteile gegen Ärztinnen zu zerschlagen. Schließlich klang es nicht besonders folgerichtig, wenn ein Arzt anführte, Frauen seien weniger fähig
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