Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
verboten. Nun standen Senior Chief O’Jorgenson und Senior Chief Harris am oberen Ende der Einstiegsrampen und verteilten an die hineinströmenden Gefangenen Panzerwesten und Waffen. Indem man die Leute stehend in den Shuttle stopfte, ließen sich dreihundert Kämpfer in dem Beiboot unterbringen, und jeder von ihnen hatte eine Waffe, mit der er oder sie angreifen konnte.
LaFollet drängte sich in die Warteschlange und machte den Weg für Honor und McKeon frei. Ein oder zwei Gefangene blickten den Major aufgebracht an, aber nur solange, bis sie bemerkten, wem sie da Platz machen sollten. Dann drängten sie sich umso enger gegen die Umstehenden und machten den Weg breiter; Honor bemerkte, dass einige der Wagemutigeren die Hand vorstreckten und ihr auf den Rücken klopften oder sie einfach nur berührten, wenn sie an ihnen vorbeiging – als versprächen sie sich davon Glück. In dem Traggestell auf ihrem Rücken wand sich Nimitz, und die Krallen seiner Echthände kneteten ihre Schultern, während er sie aufgeregt ausfuhr und wieder einzog. Über die Verbindung zu ihm drang eine Flut aus Aufregung, Angst, Vorfreude und Entsetzen von den Menschen ringsum auf sie ein. Das vorherrschende Gefühl aber war Eifer, der brennende Wunsch, endlich zurückzuschlagen, ganz gleich, wie es ausging.
Sie erreichte das Haupttruppenabteil und zwängte sich zwischen Menschen hindurch, die sich in Panzerwesten hüllten oder die Testprogramme ihrer Helmcoms und HUDs laufen ließen. Honor trug nur einen Handpulser in einer Pistolentasche am Gürtel, und sie machte keine Anstalten, weitere Waffen an sich zu nehmen. In einem Kampf wie dem, der ihnen bevorstand, hatten eine Einarmige und ein verkrüppelter Baumkater nichts verloren – und wenn sie trotzdem versucht hätte, daran teilzunehmen, hätte Andrew LaFollet sie bewusstlos geschlagen und sich auf sie gesetzt.
Ungeachtet ihrer Anspannung musste sie darüber grinsen – oder vielleicht gerade deswegen? Sie blickte hinter sich. LaFollet hatte sich eine Panzerweste und einen Helm genommen und blieb im Taktikabteil stehen, um die Rüstung anzulegen. Honor drängte sich ins Cockpit und besetzte den Kopilotensitz. Eigentlich hatte sie auch hier nichts zu suchen, denn mit nur einem Arm wäre sie im Notfall, wenn Tremaine etwas geschah, nicht gerade die ideale Pilotin. Wenn Scotty andererseits etwas zustößt, dann wird es so extrem sein, dass es wirklich keine Rolle mehr spielt, wie viele Arme ich habe oder nicht habe , sagte sie sich und grinste den Lieutenant Commander an.
»So weit, so gut, Ma’am«, meldete er. »Shuttle Zwo ist bereit zum Sinkflug, sobald nötig.«
»Gut, Scotty, sehr gut. Helfen Sie mir bitte?« Sie öffnete den Brustgurt von Nimitz’ Tragegestell und stellte sich seitlich vor Tremaine, der das Gestell um sie herum schob, sodass es ihr vor Bauch und Brust saß. Dann schnallte sie sich an, was mit einer Hand nicht ganz leicht war, denn sie musste überdies Acht geben, den ‘Kater nicht einzuklemmen. Schließlich verstellte sie den Sitz, bis sie bequem saß.
Jemand schob sich in die Luke zwischen Cockpit und Taktikabteil. Honor drehte den Kopf und blickte über die Schulter nach hinten.
»Ich bin’s nur«, sagte Alistair McKeon. »Jesus und Harriet melden, dass sie noch fünfzehn Minuten brauchen, um alle einsteigen zu lassen.«
»Hm.« Honor blickte aufs Chronometer. Dank der Akribie, mit welcher der jüngst hingeschiedene Bürger Lieutenant Jardine die Dienstvorschriften beachtet hatte, würde in Camp Charon gewiss niemand darauf achten, ob ›sein‹ Shuttle sich vor der Landung ungewöhnlich verhielt. Allerdings hatte er der Einsatzzentrale den genauen Zeitpunkt seiner (letzten) Landung mitgeteilt. Da Camp Charon wusste, wie lange er zum Ausladen der Kontragravpaletten mit den Lebensmitteln brauchte, wusste man dort, wann er plangemäß wieder abheben sollte. Und das war mehr oder minder jetzt.
»Sagen Sie ihnen, sie sollen sich beeilen, Alistair«, antwortete sie gelassen, und er nickte und zog sich zurück. Honor richtete ihre Aufmerksamkeit auf das Instrumentenbrett, und die belebte Hälfte ihres Mundes krümmte sich zum Zähnefletschen eines Hexapumas, als sie einige Tasten drückte und die Waffenstationen scharf machte. Wenigstens etwas, das sie mit einem Arm tun konnte … und darauf freute sie sich schon.
»Überprüfe die Schaltkreise der Außenlasten«, meldete sie Tremaine mit ruhiger Stimme. Ihr Auge funkelte.
Bald sind wir quitt , dachte
Weitere Kostenlose Bücher