Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
seine Miene war sehr ernst, und Honors Magen krampfte sich zusammen, als sie den Geschmack seiner Emotionen aufnahm. Warner Caslet begleitete ihn, und der havenitische Commander blickte womöglich noch finsterer drein als McKeon.
Nimitz döste auf der Sitzstange, die Honor und LaFollet ihm gebastelt hatten, doch nun hob er den Kopf. In den letzten fünf Tagen hatte er die meiste Zeit schlafend auf der Stange verbracht, und trotz aller Beklemmung wegen der schlechten Neuigkeiten, die McKeon offenbar zu ihr führten, hob sich ihre Stimmung, als sie nach oben griff und dem ‘Kater die Ohren kraulte. Schnarrendes Schnurren und eine sanfte Liebeswelle antworteten ihr, dann stand Nimitz auf und streckte sich ausgiebig und doch sehr behutsam. Sein verkrüppeltes Mittelbein und das verdrehte Becken jagten ihm noch immer bei jeder unvorsichtigen Bewegung stechende Schmerzen durch den ganzen Leib, und doch strahlte er Zufriedenheit ob der Veränderung ihrer Lebensumstände aus. Auf Styx war es nicht nur viel kühler als in Camp Inferno, die Gebäude der eroberten havenitischen Basis waren samt und sonders klimatisiert. Und wie um seine Wünschträume zu erfüllen, stellte sich heraus, dass in den riesigen Farmen der Systemsicherheit auch Sellerie angebaut wurde.
Kein anderer als Carson Clinkscales durfte sich rühmen, diese Entdeckung gemacht zu haben. Am zweiten Morgen auf Styx klingelte er an Honors Unterkunft und hielt Nimitz fast schüchtern eine frische Sellerieknolle hin, die noch feucht war vom Tau. Der ‘Kater fühlte sich augenblicklich im siebten Himmel. Er hatte den Ensign immer gemocht, doch für dieses Geschenk nahm er den jungen graysonitisehen Offizier in den erlauchten Kreis seiner engsten Freunde auf.
Honor lächelte, als sie sich erinnerte, und wurde ernst. McKeon hatte sein geflüstertes Gespräch mit LaFollet beendet, was er ihm sagen wollte, und nun kam er mit Caslet in ihr Büro.
»Guten Morgen, Alistair. Warner«, begrüßte sie die Offiziere, ohne sich auch nur im Geringsten anmerken zu lassen, wie sehr sie auf die Anspannung der beiden reagierte. Mit einer Handbewegung lud Honor sie ein, auf den Stühlen vor ihrem Schreibtisch Platz zu nehmen.
McKeon und Caslet setzten sich, und Honor lehnte sich in ihren neuen, bequemen Stuhl zurück, um die beiden kurz zu mustern. Der Aufenthalt auf Hell hatte beiden einen wettergegerbten Teint verliehen und sie schlanker werden lassen – besonders McKeon, der gut zwei Zentimeter Hüftumfang verloren hatte. Nun, weshalb auch nicht. Selbst Honors blasse Haut hatte einen Goldbronzeton angenommen, und obgleich sie Schwierigkeiten hatte, mit nur einem Arm zu trainieren, gewann sie allmählich ihre Muskelmasse zurück. Doch ihr sportliches Training gestaltete sich, wie sie nun feststellen musste, längst nicht so umständlich wie der Versuch, eine Konsolentastatur einhändig zu benutzen.
Eine Sache indes unterschied Honor und McKeon von Caslet: Sie trugen beide einen Pulser – Caslet hingegen nicht.
»Sie haben doch etwas auf dem Herzen, Alistair«, sagte sie schließlich. »Was denn?«
»Wir haben heute Morgen wieder zwo Leichen gefunden, Ma’am«, antwortete McKeon tonlos, und Honor zuckte zusammen, als sie die Hilflosigkeit hinter seinen Worten spürte. Sie hob die Augenbraue über ihrem gesunden Auge, und McKeon verzog den Mund. Dann seufzte er. »Kein hübscher Anblick, Honor. Wer immer das auf dem Gewissen hat, ließ sich Zeit mit ihnen. Für mich sieht es aus, als hätten wir es mit fünf oder sechs Mördern zu tun, und einige der Verstümmelungen sind eindeutig sexueller Natur.«
»Verstehe.« Sie lehnte sich wieder zurück und rieb sich das Gesicht. Nach all den Monaten kam es ihr fast natürlich vor, dass sie die linke Wange nicht im Geringsten spürte, und im Augenblick wünschte sie, sie würde tief in sich ebenfalls nichts empfinden. Doch nur einen kurzen Moment lang plagte sie diese Stimmung, dann zerquetschte sie das Selbstmitleid unter einem gnadenlosen geistigen Absatz und senkte die Hand.
»Haben Sie jemanden in Verdacht?«
»Ich glaube nicht, dass es jemand war, den wir von Inferno mitgebracht haben«, entgegnete McKeon und blickte Caslet an.
»Das meine ich auch, Ma’am«, sagte der Havenit. Seit der Eroberung von Camp Charon hatte sich seine Isolation vertieft. Alle gefangenen SyS-Leute bedachten ihn mit der kalten Verachtung, die man sich für Verräter aufspart, während es die befreiten Gefangenen auf der Insel überhaupt nicht
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