Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
es auch Devon beeinträchtigt, es gibt einen weiteren, noch wichtigeren Punkt, über den Alfred und ich nachdenken müssen.«
»Und dieser Punkt wäre, Mylady?«, fragte Clinkscales sanft, als sie erneut schwieg.
»Ob es dem Kind gegenüber fair wäre«, antwortete sie sehr leise. »Dürfen mein Mann und ich ein Kind zur Welt bringen und ihm sogleich die eigene Zukunft vorschreiben? Sollen wir ein Kind zeugen, nur weil eine Regierung oder ein Herrscher – oder wir, Gott steh uns bei! – bereits vor der Empfängnis entschieden haben, was aus ihm werden soll? Meine Tochter hat das Amt der Gutsherrin aus eigenem Entschluss angenommen; besitzen Alfred und ich denn ein Recht, einseitig die gleiche Entscheidung jemandem aufzudrängen, den wir nicht einmal kennen? Und wie wird dieser jemand reagieren, wenn er oder sie begreift, was wir getan haben – und aus welchem Grund? Wird unser Kind zu dem Schluss kommen, dass wir es allein aus politischen Gründen zur Welt gebracht haben, aber nicht, weil wir es uns wünschten und es liebten?«
Clinkscales saß eine Weile sprachlos vor ihr, dann lehnte er sich zurück und stieß leise die Luft aus.
»Über diesen Aspekt habe ich noch gar nicht nachgedacht, Mylady«, gestand er. »Ich glaube, das ist typisch für uns Graysons. Seit Anbeginn der Kolonie sind unsere Clan- und Familienstrukturen so streng organisiert, dass wir uns fast schon verloren vorkommen, wenn uns niemand sagt, wer und was wir sind. Dennoch habe ich erlebt, was geschieht, wenn man allein aus Pflichtgefühl oder Ehrgeiz einen Erben zeugt. Denken Sie nur an das Ungleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Geburten auf unserem Planeten und daran, dass bis vor neun Jahren nur Männer erbberechtigt waren. Nun, ich habe mehrfach gesehen, wie sehr es einen Mann schmerzt, wenn er begreifen muss, dass seine Eltern ihn nur deshalb gezeugt haben, weil das Gut oder der Clan einen Erben benötigte.
Aber oft geschieht das nicht«, fügte er betont hinzu. »Denn Kinder sind das wertvollste Geschenk, das Gott der Tröster uns machen kann, Mylady. Wenn jemand das weiß, dann die Graysons. Und Kinder, die ehrliche Liebe und Fürsorge erfahren, wachsen auch dann nicht in dem Glauben auf, nur wegen der politischen Motive ihrer Eltern in die Welt gesetzt worden zu sein, selbst wenn sie einer reinen Vernunftheirat entspringen.«
»Schon, aber –«, begann Allison, doch Clinkscales brachte sie mit einem sanften Kopfschütteln zum Schweigen.
»Ich habe Ihre Tochter gekannt, Mylady«, sagte er leise. »Und jeder, der das Privileg genoss, sie so gut zu kennen wie ich, weiß gewiss, dass sie ihre Mutter und ihren Vater stets ebenso geliebt hat, wie Sie beide Ihre Tochter geliebt haben. Daher habe ich von Ihnen die beste Meinung – und bin überzeugt, dass Sie noch ein Kind mit der gleichen Liebe aufziehen und ihm das gleiche Selbstwertgefühl vermitteln werden. Lassen Sie sich von Ihrer Trauer oder von Ihren Zweifeln nicht verleiten, sich selbst so tiefgreifend infrage zu stellen.«
Allison rang mit den Tränen, und einen Moment lang bebte ihr Mund. Mein Gott , dachte sie tief erstaunt, als ich ihm das erste Mal begegnete, hielt ich ihn für eine Art Fossil, wie man es in Museen findet – eine Art Atavismus aus der Zeit, als Männer sich noch vom Testosteron umnebelt auf die Brust schlugen und triumphierend jodelten. Doch nun das …!
Sie empfand gelinde Scham, dass sie damals ihm gegenüber solche Vorurteile gehegt hatte, und war sehr erstaunt, wie einfühlsam und zart dieser ›harte Knochen‹ plötzlich war. Und wie er die Torheit ihrer Befürchtungen entblößte. Noch immer hegte sie Zweifel, ob Alfred und sie wirklich auf Verlangen einen Erben für den Schlüssel von Harrington produzieren sollten, aber sie stellte nun wenigstens nicht mehr infrage, dass sie dieses Kind mit der gleichen Liebe und Herzlichkeit aufziehen würden, die sie Honor erwiesen hatten.
Natürlich bleibt noch ein Einwand übrig. Clinkscales weiß noch nicht, was ich im Zuge meines Genomprojekts herausgefunden habe – und ich kann mich zu keiner Entscheidung durchringen. Soll ich die Ergebnisse veröffentlichen oder nicht? Ich frage mich, was er und Protector Benjamin von der Idee halten, einen Erben namens Harrington hervorzubringen, wenn plötzlich jeder, der den Namen Harrington trägt, kein Ansehen mehr besitzt … wenn ich – falls ich diese Neuigkeit verbreite.
Sie löste sich von diesem Gedankengang und stand vom Schreibtisch auf.
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