Hornblower 04 - Hornblower wird Kommandant
nicht einmal vier Stunden Ruhe gehabt. Jetzt sehnte er sich brennend danach, seine müden Beine auszustrecken und seine schmerzenden Augen für eine Weile schließen zu dürfen. Die Hängematten der Besatzung waren schon verstaut und das Deck gewaschen, es galt zur Zeit nur, mit der Castilla Fühlung zu halten; aber da eben doch jeder Augenblick eine rasche Entscheidung verlangen konnte, wagte er es nicht, unter Deck zu gehen. Eigentlich war es seltsam, daß die Lage jetzt mehr überraschende Möglichkeiten in sich barg, obwohl er sicher in Luv stand, als gestern, da er sich in Lee des Gegners befand, dennoch war nicht daran zu zweifeln, daß es sich so verhielt.
Die Castilla konnte jeden Augenblick unversehens an den Wind drehen, vor allem aber jagten die beiden Schiffe immer tiefer in das blaue Mittelmeer hinein, hinter dessen Horizonten alle erdenklichen Überraschungen lauern konnten.
»Ich möchte eine Matratze hier an Deck haben«, sagte Hornblower. Man brachte sie ihm herauf, sie wurde achtern neben den Luvspeigatten an die Reling gelegt. Im Liegen lösten sich endlich seine schmerzenden Gelenke, er ließ den Kopf auf sein Kissen sinken und schloß die Augen. Das Auf und Ab des Schiffes wiegte ihn in Schlaf, und das Rauschen der See unter dem Heck der Atropos tat das übrige dazu. Licht und Schatten spielten über sein Gesicht, wie sich Segel und Riggen im Sonnenschein wiegten, er aber schlief, er konnte schwer und traumlos schlafen, während die beiden Schiffe ostwärts durchs Mittelmeer glitten, während die neue Wache den Dienst antrat, während das Log ausgeworfen wurde, ja, sogar während die Männer die Rahen trimmten, als der mit der Sonne umlaufende Wind ein wenig nach Norden holte.
Es war Nachmittag, als er erwachte. Er rasierte sich an Deck mit Hilfe eines in die Hängemattnetze gesteckten Spiegels, nahm sein Bad unter der Deckwaschpumpe und zog das frische Hemd an, das man ihm auf sein Geheiß aus der Kajüte brachte.
Dann aß er ein Stück kalten Braten und den Rest des herrlichen, frischen Brotes, das in Gibraltar an Bord gekommen war - reichlich alt und trocken war es jetzt schon, aber immer noch unendlich viel besser als Hartbrot. Die frische Butter von ebendort, in einem irdenen Gefäß gekühlt, schmeckte ganz köstlich dazu. Es schlug eben sieben Glasen, als er den letzten Bissen hinunterschluckte. »An Deck! Gegner ändert Kurs!«
Wie der Blitz war er auf den Beinen, sein Teller rutschte in den Wassergang, die Hand griff automatisch nach dem Kieker.
Es stimmte. Die Castilla hatte etwas nördlich gedreht und segelte jetzt mit halbem Wind. Das war nicht überraschend, sie hatten sich inzwischen schon zweihundert Seemeilen von Cartagena entfernt, und wenn die Castilla nicht die Absicht hatte, weiter ins Mittelmeer hinein und leewärts von allen spanischen Stützpunkten vorzustoßen, dann wurde es höchste Zeit für sie, nördlich zu steuern, um noch Menorca zu erreichen.
Er wollte ihr auch dorthin folgen, der Terrier gab die Jagd auf den Stier nicht auf und hatte durchaus die Absicht, ihm zum Abschluß noch einmal richtig an die Beine zu fahren, ehe er Port Mahon erreichte. Im übrigen brauchte die Kursänderung der Castilla keineswegs nur ihre Flucht nach Menorca zu bedeuten.
Sie befanden sich nämlich zur Zeit genau auf dem Kurs der Geleitzüge, die von Sizilien und Malta westwärts nach Gibraltar kreuzten.
»Backbord, Mr. Still, bitte. Wir wollen parallelen Kurs steuern.«
Es war das einzig Richtige, so weit in Luv der Castilla zu bleiben wie irgend möglich. Das körperliche Wohlbefinden, dessen sich Hornblower noch vor fünf Minuten erfreute, war einer Erregung gewichen, die er wie ein leises Prickeln unter der Haut verspürte. Man konnte zehn zu eins wetten, daß die Kursänderung der Castilla nichts Besonderes besagte, aber die Möglichkeit dieses einen Zehntels bestand eben doch. Acht Glasen, die Wache wurde gemustert.
»An Deck! Vor dem Gegner Segel in Sicht, Sir!«
Das war also die Ursache des Manövers.
»Hoch mit Ihnen, Mr. Smiley! Sie können mit aufentern, Mr. Fürst.«
Seine Durchlaucht sollte wissen, daß in der Navy jeder Fall mit der Bestrafung des Schuldigen erledigt war, weil man sich darauf verließ, daß niemand eine einmal begangene Dummheit zu wiederholen wagte. Man durfte diese kleinen Dinge nicht außer acht lassen, auch wenn man seit der letzten Meldung des Ausgucks vor Aufregung fieberte. Wenn nur schon feststünde, was es mit diesem geheimnisvollen
Weitere Kostenlose Bücher