Hornblower 04 - Hornblower wird Kommandant
Hornblower hatte Befehl, in den sizilianischen Gewässern zu Collingwood zu stoßen, vorher aber die Lage in Malaga und Cartagena zu erkunden. Er hatte keine dringenden Depeschen an Bord, und seine Atropos hätte für die Flotte, weiß Gott, keinen wichtigen Zuwachs an Kampfkraft bedeutet. Auf der anderen Seite war es die Pflicht jedes englischen Kommandanten, der auf freier See Fühlung mit einem feindlichen Schiff gewonnen hatte, dem Gegner so lange wie irgend möglich auf den Fersen zu bleiben. Die Atropos durfte nicht hoffen, der Castilla im Gefecht einen Erfolg abzuringen, aber sie konnte sie unter ständiger Beobachtung halten, die Handelsschiffahrt vor der drohenden Gefahr warnen und bei einigem Glück vielleicht ein größeres britisches Kriegsschiff - diesmal kein erfundenes, sondern ein wirkliches -, das ihr der Zufall in den Weg führte, an den Gegner heranbringen.
»Mr. Jones«, sagte Hornblower, »legen Sie das Schiff wieder mit Steuerbordhalsen an den Wind, voll und bei, wenn ich bitten darf.«
»Aye, aye, Sir.«
Dieser Tausch der Rollen, der aus dem Verfolgten plötzlich den Verfolger machte, war für den guten Jones, wie seine Überraschung zeigte, nicht ohne weiteres begreiflich, ein Beweis mehr, daß ihm strategisches Denken ein Buch mit sieben Siegeln war. Aber jetzt ließ ihm die Ausführung des erhaltenen Befehls zum Überlegen keine Zeit, bis die Atropos richtig am Winde lag und weit in Lee der Castilla etwa parallel mit ihr nach Süden steuerte. Hornblower richtete sein Glas auf ihre Marssegel, die eben noch über der Kimm zu sehen waren, er prägte sich genau ein, welche Form sie im Augenblick zeigten, schon die kleinste Änderung im Verhältnis von Länge und Breite würde ja eine Kursänderung des Gegners verraten.
»Topp!« rief er nach oben. »Halten Sie das feindliche Schiff ständig im Auge. Melden Sie jede Änderung, die Sie beobachten.«
»Aye, aye, Sir.«
Die Atropos glich jetzt einem Terrier, der kläffend einem Stier nachjagt und ihn ins Hinterteil zu beißen sucht. Das war keine großartige Rolle, überdies mußte man jeden Augenblick gewärtigen, daß der Stier kehrtmachte und seinerseits zum Angriff überging. Wahrscheinlich kam der Kommandant der Castilla früher oder später dahinter, daß ihn die Atropos mit ihren Signalen hereingelegt hatte, weil deren Empfänger hinter der Kimm in Wirklichkeit gar nicht existierte. Nun war aber schlechthin nicht zu erraten, was der Mann unternahm, wenn er erst zur Überzeugung kam, daß ihm die Atropos wirklich allein gegenüberstand. Unterdessen flaute der Wind immer mehr ab, die Atropos konnte also mehr Segel setzen. Beim Kreuzen benahm sie sich am allerbesten, wenn sie so viel Segel führte, wie sie irgend tragen konnte, außerdem war es das richtigste, wenn er so dicht am Gegner hielt, wie ihm der Wind erlaubte.
»Mr. Jones, bitte, versuchen Sie das Großsegel zu setzen.«
»Aye, aye, Sir.«
Das Großsegel war ein riesiger Lappen, und die kleine Atropos schien unter seinem gewaltigen Druck geradezu Flügel zu bekommen, als die Schot belegt und der Hals mit der Muskelkraft einer halben Wache nach vorn steifgesetzt worden war. Nun schnob sie in den letzten Stunden dieses schönen Sommertages tapfer gegenan, der Wind legte sie hart auf die Seite, ihr Steuerbordbug zerschlug die andringenden Seen eine um die andere zu riesigen Fahnen von Gischt, deren Schleier über die sinkende Sonne zogen und ihre Glut in ein wahres Feuerwerk flüchtiger Regenbogen verwandelten. Das Kielwasser bildete eine kochende Spur, die sich leuchtend weiß von dem südlichen Blau des Meeres abhob. In solchen Augenblicken war es eine Lust zu leben, was gab es Schöneres, als ein gutes Schiff bei frischer Brise hart gegenan zu segeln und dabei das große Abenteuer in greifbarer Nähe zu wissen? Zur See Krieg zu führen, war in der Regel eine unglaublich eintönige Beschäftigung, Tag um Tag, Nacht um Nacht, Wache um Wache galt es nur Langeweile und Härte des Daseins zu ertragen, aber dann kam immer wieder einmal eine Stunde jubelnden Überschwangs wie diese, so wie sich ein andermal vielleicht Momente dumpfer Verzweiflung, bebender Angst oder brennender Scham einstellten.
»Sie können die Freiwache wegtreten lassen, Mr. Jones.«
»Aye, aye, Sir.«
Hornblower sah sich an Deck um. Still bekam jetzt die Wache.
»Rufen Sie mich sofort, wenn eine Änderung eintritt, Mr. Still. Ich möchte noch mehr Segel setzen, wenn der Wind weiter abflaut.«
»Aye, aye,
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