Hornblower 04 - Hornblower wird Kommandant
hörte man einen überflüssigen Befehl. Jetzt war das Manöver beendet, die Männer enterten nieder, so rasch sie konnten; da sah er, wie sich zwei Gestalten ganz hoch oben an die Großbackstagen schwangen und daran vom Topp bis an Deck herunterrutschten, ohne sich um Wanten und Webeleinen zu scheren. Sie langten gleichzeitig unten an und maßen einander grinsend mit den Blicken - man sah sofort, daß es hier um eine Wette ging. Der eine der beiden war Smiley, der Toppsfähnrich des Großtopps, der andere - seine Durchlaucht der Fürst von Seitz-Bunau. Der Junge hatte sich über alles Erwarten gut bewährt, er wußte bestimmt einmal tolle Dinge zu erzählen, wenn er eines Tages wieder auf seinem angestammten Fürstenthron in Deutschland saß.
Aber einem Kommandanten stand es in diesem Augenblick nicht frei, seine Gedanken abschweifen zu lassen.
»Fallen Anker!« rief er Jones mit lauter Stimme zu. Der Anker klatschte ins Wasser und holte die Ankertroß polternd durch die Klüse. Hornblower verfolgte aufmerksam, wie die Atropos eintörnte und dann langsam achteraus sackte, bis sie der Anker hielt. Sie lag genau auf dem für sie bestimmten Liegeplatz. Hornblowers Blicke wanderten an dem steilen Felsen empor und dann hinüber zur spanischen Küste. Hier hatte sich nichts verändert, seit er das letztemal - mein Gott, wie lange war das nun schon her - in diese Bucht eingesegelt war. Die Sonne des Mittelmeers schien ihm auf den Rücken, es tat ihm wohl sie zu fühlen, wenngleich sie in dieser frostigen Winterszeit noch wenig Wärme spendete.
»Bitte, lassen Sie meine Gig klarmachen, Mr. Jones.«
Hornblower eilte rasch noch unter Deck, um seinen Säbel umzuschnallen und den besseren seiner beiden Zweispitzhüte aus dem schützenden Zinkblechkoffer zu holen, damit er bei seinen bevorstehenden dienstlichen Besuchen an Land so adrett wie möglich aussah. Der Gedanke, daß er nun bald seinen neuen Befehl zu lesen bekam, erfüllte ihn mit Spannung und Neugier.
Ob er ihn einem Abenteuer entgegenführte? Vielleicht, doch schien es ihm eher möglich, daß er ihn dazu bestimmte, im sterbenslangweiligen Blockadedienst endlos vor irgendeinem französischen Hafen auf und ab zu kreuzen.
Als er aber dann Collingwoods Schreiben erbrach, fiel sein Blick alsbald auf einen Absatz, den er mit verwundertem Kopfschütteln las, weil er nun erst recht nicht wußte, welche Aufgabe ihm bevorstand.
Sie werden den in den Diensten der hochachtbaren Ostindienkompanie stehenden Mr. William McCullum sowie seine eingeborenen Hilfskräfte an Bord nehmen und als Passagiere befördern, wenn Sie gemäß Absatz I des vorliegenden Befehls in See gehen, um zu mir zu stoßen.
Mr. McCullum erwartete ihn im Vorzimmer des Gouverneurs.
Er war ein Mann Mitte Dreißig, groß, stämmig, mit hellen blauen Augen und einem Wust schwarzer Haare auf dem Kopf.
»Kapitän Horatio Hornblower?« Die rollenden R verrieten sofort seine schottische Herkunft.
»Mr. McCullum?«
»Von der Ostindienkompanie.«
Die beiden Männer musterten einander mit prüfenden Blicken.
»Sie wollen also von mir mitgenommen werden?«
»Stimmt.«
Der Bursche benahm sich unglaublich selbstbewußt, obwohl er, nach den schmalen Silberlitzen auf seiner Uniform zu urteilen, bei der Ostindienkompanie einen recht bescheidenen Rang bekleidete.
»Und Ihre eingeborenen Hilfskräfte? Was sind denn das für Leute?«
»Drei singhalesische Taucher.«
»Singhalesen?«
Hornblower sprach das Wort ganz vorsichtig nach, weil er es bis dahin noch nie gehört hatte, wenigstens nicht in dieser Aussprache. Er vermutete zwar, daß diese Leute etwas mit Ceylon zu tun hatten, aber er wollte sich mit seiner Unwissenheit nicht bloßstellen.
»Es sind Perlentaucher aus Ceylon«, erklärte McCullum.
Also hatte er richtig geraten. Aber er konnte sich beim besten Willen nicht denken, wozu Collingwood, der hier im Mittelmeer den Franzosen im Nacken saß, ausgerechnet Perlentaucher von Ceylon brauchte.
»Welche offizielle Stellung bekleiden Sie selbst, Mr. McCullum?«
»Ich bin Wrackmeister und Bergungsleiter an der Koromandelküste.«
Damit erklärte sich das hochfahrende Wesen, das dieser Mann bei jedem Wort an den Tag legte. Er war offenbar einer jener Fachleute, deren Können ihren Auftraggebern so wertvoll war, daß es keinem einfiel, sie in ihre Schranken zu verweisen.
Vielleicht war er einmal als Meßboy oder Offiziersanwärter auf einem Handelsschiff nach Indien verschlagen worden und hatte als
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