Hornblower 05 - Der Kapitän
Persennings beiseite, die immer noch die entfernten Zwischenwände ersetzen mußten, aber auf der Schwelle der Kajüte blieb el Supremo einen Augenblick stehen und sprach die ersten Worte, die ihm seit Betreten des Schiffes über die Lippen kamen.
»Ich werde allein hier speisen«, erklärte er. »Lassen Sie auftragen.«
Niemand schien in diesem Ansinnen etwas Außergewöhnliches zu finden. Hornblower, der die Begleiter des Wahnsinnigen heimlich beobachtete, war davon überzeugt, daß ihre Teilnahmslosigkeit nicht gemacht war.
Natürlich war dieser Entschluß höchst lästig. Zusammen mit seinen übrigen Gästen mußte Hornblower in der schnell dazu hergerichteten Offiziersmesse essen. Sein einziges Tischtuch und seine einzige Garnitur Servietten blieben zusammen mit den beiden letzten Flaschen alten Madeiras in der Kommandantenkajüte zur Verfügung el Supremos zurück. Auch trug das allgemeine Schweigen keineswegs zur Belebung des Mahles bei. Das Gefolge el Supremos war alles andere als gesprächig, und lediglich Hornblower selbst vermochte sich auf spanisch zu unterhalten. Zweimal versuchte Bush kühn, einige höfliche Worte an seinen Tischnachbarn zu richten, wobei er, hoffend, daß sie spanisch klingen würden, jeweils ein o hinzufügte, aber der verständnislose Blick des Angeredeten ließ ihn schnell in sinnlosem Gestammel enden. Das Essen war kaum beendet; jedermann hatte gerade die lose gewickelten Zigarren an gezündet, die zu den gelieferten Vorräten gehörten, als ein neuer Bote vom Strande eintraf und von dem betroffenen Wachoffizier, der das Geschnatter des Mannes nicht verstand, in die Messe geführt wurde. Die Truppen standen zur Einschiffung bereit. Erleichtert erhob sich Hornblower und ging mit den übrigen an Deck.
Die von der Barkasse und dem Kutter im Pendelverkehr an Bord geschafften Leute waren typische mittelamerikanische Soldaten; barfuß, zerlumpt, schwärzlich und dünnhaarig. Jeder trug eine blanke neue Flinte und vollgestopfte Patronentaschen, aber das waren nur die Dinge, die Hornblower mitgebracht hatte. Die meisten Kerle hielten anscheinend mit Mundvorrat gefüllte Baumwollbündel in den Händen; einige hatten auch Melonen und ganze Büschel von Bananen mitgebracht. Die englischen Matrosen trieben die Burschen auf das Hauptdeck.
Neugierig spähten sie umher, wobei das Geschwätz keinen Augenblick verstummte. Im übrigen waren sie ganz willig.
Schwatzend hockten sie sich zwischen den Kanonen nieder, wohin sie von den grinsenden Seeleuten geschoben wurden. Die meisten von ihnen begannen sofort gierig zu essen. Hornblower hegte den Verdacht, daß sie halb verhungert waren und daß sie nun ihre Vorräte verschlangen, die eigentlich mehrere Tage ausreichen sollten.
Als sich der letzte Mann an Bord befand, blickte der Kapitän zur Natividad hinüber. Sie schien den ihr zugedachten Teil des Expeditionskorps bereits an Bord genommen zu haben. Plötzlich hörte das Geschnatter auf dem Hauptdeck jählings auf, und es trat völliges Schweigen ein. Gleich darauf betrat el Supremo das Achterdeck. Offenbar war sein Erscheinen der Grund zum Verstummen der Gespräche gewesen.
»Wir werden nach La Libertad segeln, Herr Kapitän«, sagte er.
»Jawohl, Supremo.« Hornblower war froh über das Erscheinen des Mannes. Hätte er noch wenige Sekunden gezögert, so hätten die Schiffsoffiziere merken müssen, daß ihr Kommandant auf des Amerikaners Befehle wartete, und das wäre nicht gut gewesen.
»Wir werden Anker lichten, Mr. Bush«, sagte Hornblower.
8. Kapitel
Die der Küste entlangführende Reise war beendet. La Libertad hatte sich ergeben. El Supremo war mit seinen Leuten in dem Durcheinander von Vulkanen verschwunden, die die Stadt des Heiligen Erlösers umgaben. Abermals schritt Kapitän Hornblower am frühen Morgen auf dem Achterdeck Seiner Britannischen Majestät Fregatte Lydia auf und nieder, und Leutnant Bush, der Wachhabende, stand regungslos beim Steuerruder, ohne Notiz von seinem Kommandanten zu nehmen.
Hornblower blickte umher. Bei jeder Unterbrechung seiner Wanderung atmete er tief die Seeluft ein. Sein Verhalten kam ihm zum Bewußtsein, und gleichzeitig mußte er über die Erkenntnis lächeln, daß es ihm darum zu tun war, die süße Luft der Freiheit zu genießen. Für eine Weile jedenfalls war er des alpdruckartigen Einflusses el Supremos und seiner Halsabschneidermethoden ledig. Das Gefühl der Erleichterung, das er deswegen empfand, ließ sich nicht in Worte fassen. Er war
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