Hornblower 05 - Der Kapitän
führt«, setzte sie hinzu, »hat keine Ahnung von seinen Pflichten.«
Lady Barbara glaubte durchaus nicht, daß die Krankenpflege ein vornehmer Beruf sei; ja, in ihrer Meinung war er noch erniedrigender als kochen oder Kleider flicken - zu welcher Tätigkeit sie gelegentlich auf Reisen ihre geschickten Finger benutzte, wenn die Umstände es forderten -, aber jetzt hatte sie feststellen müssen, daß eine bestimmte Arbeit unzureichend ausgeführt wurde, daß niemand da war, der sie besser leisten konnte, und daß gerade jetzt der Dienst des Königs eine gute Ausführung dringend verlangte. Mit derselben gründlichen Beachtung aller Einzelheiten und Hintanstellung ihrer eigenen Bequemlichkeit, mit der der eine ihrer Brüder Indien regiert und der andere die Mahratten dort bekämpft hatte, machte sie sich ans Werk.
»Dieser Mann hat einen großen Holzsplitter unter der Haut, der sofort herausgezogen werden sollte«, fuhr sie fort.
Sie deutete auf des Matrosen behaarte Brust. Unter der Tätowierung hob sich eine abscheulich aussehende, schwärzliche Erhebung ab, die vom Brustknochen bis zur rechten Achselhöhle verlief, unter der die Haut in zackiger Weise hervorstand. Als Lady Barbara die Finger auf jene Stelle legte, zuckte der Mann zusammen und stöhnte vor Schmerz. Auf hölzernen Kriegsschiffen bildeten dergleichen Fälle einen hohen Prozentsatz aller Verwundungen. Dabei konnten die Splitter nie dadurch wieder entfernt werden, daß man sie rückwärts herauszog, denn ihre Form verlieh ihnen natürliche Widerhaken.
Im vorliegenden Fall war das große Stück von den Rippen abprallend am Brustkorb entlanggeglitten und schließlich steckengeblieben.
»Sind Sie jetzt bereit, es zu tun?« fragte Lady Barbara den unglücklichen Laurie.
»Ja, aber...«
»Wenn Sie sich weigern, tue ich es selbst. Seien Sie doch kein Narr, Mann.«
»Ich werde dafür sorgen, daß es geschieht, Lady Barbara«, mischte sich Hornblower ein. Er würde das Blaue vom Himmel herunter versprochen haben, nur um dieser Szene ein Ende zu bereiten.
»Also gut, Herr Kapitän.«
Lady Barbara stand zwar auf, traf aber keine Anstalten, sich in weiblicher Weise zurückzuziehen. Hornblower und Laurie sahen einander an.
»Vorwärts, Laurie«, befahl Hornblower grob. »Wo sind Ihre Instrumente? Ihr da, Wilcox und Hudson, bringt ihm einen gehörigen Schluck Rum. Also passen Sie auf, Williams, wir werden Sie von dem Splitter befreien. Wird allerdings weh tun.«
Hornblower mußte sich alle Mühe geben, um seinen Gesichtsausdruck nichts von dem Widerwillen und auch der Furcht verraten zu lassen, die er vor seiner Aufgabe empfand. Er sprach rauh, damit die Stimme fest blieb. Er verabscheute die ganze Geschichte aus tiefster Seele. Und wirklich, es war eine peinliche und blutige Angelegenheit. Obwohl Williams die Zähne zusammenbiß, bäumte er sich doch auf, als der Einschnitt gemacht wurde. Wilcox und Hudson mußten seine Hände ergreifen und die Schultern zurückdrücken. Dann stieß er einen langen, furchtbaren Schrei aus, und als das schwärzliche Stück Holz zutage gefördert worden war, sank er ohnmächtig zusammen, so daß er keinerlei Widerstand mehr leistete, als die Wundränder mit groben Stichen zusammengenäht wurden. Lady Barbaras Lippen waren fest geschlossen. Sie beobachtete Lauries ungeschicktes Hantieren mit dem Verband, und dann bückte sie sich wortlos, um ihm den Leinenstreifen wegzunehmen. Bewundernd sahen die Männer zu, wie sie, die eine Hand gegen die Wirbelsäule des Verwundeten gepreßt, die Rolle behende um den Oberkörper des Matrosen Williams wickelte und festband. »So wird es halten«, sagte Lady Barbara aufstehend. Zwei lange Stunden verbrachte Hornblower dort unten im Lazarett, während er mit Lady Barbara und Laurie von einem Verwundeten zum anderen ging, aber die Tätigkeit war nicht annähernd so qualvoll mehr, wie sie hätte sein können.
Einer der Hauptgründe seines Widerwillens hatte im Bewußtsein seiner eigenen Unzulänglichkeit bestanden. Unwillkürlich übertrug er einen Teil seiner Verantwortung auf die Schultern der Dame. Sie war so offensichtlich geschickt und selbstsicher, daß sie von allen an Bord befindlichen Personen sicherlich die geeignetste für die Behandlung der Verwundeten war. Nachdem Hornblower den Rundgang beendet und man die fünf mittlerweile Gestorbenen hinausgeschafft hatte, blickte er seiner Begleiterin im Flackerschein der am Ende der Reihe pendelnden Lampe in die Augen.
»Ich weiß
Weitere Kostenlose Bücher