Hornblower 05 - Der Kapitän
Hornblower glaubte, daß der Spanier die abermalige Niederkämpfung der großen Fregatte durch ein halb so starkes britisches Kriegsschiff als Demütigung empfand.
»Dann, Sir«, erklärte der Besucher, »habe ich Ihnen einen Brief zu überreichen.«
Er griff in die Brusttasche, zögerte dabei aber in eigentümlicher Weise. Später begriff Hornblower, daß er offenbar zwei verschiedene Schreiben bei sich getragen hatte, von denen dem englischen Kommandanten das eine ausgehändigt werden sollte, falls die Natividad zerstört worden war, das andere aber nur dann, wenn sie noch imstande war, Schaden anzurichten.
Hornblower las. Der Brief war nicht kurz, aber bei aller Glätte der Redewendungen doch für den, der mit dem pomphaften spanischen Amtsstil vertraut war, von gewollter Grobheit, denn er enthielt das formelle Verbot für die Lydia, irgendeinen spanischen, zu Peru, Mexiko oder Neu-Granada gehörenden Hafen anzulaufen, geschweige dort zu ankern.
Indessen Hornblower das Schreiben noch ein zweites Mal las, kamen ihm - von drunten tönte das melancholische Geräusch der Pumpen herauf - mit einemmal die neuen Sorgen zum Bewußtsein, die man ihm auflud. Er dachte an sein zerschossenes, leckes Schiff, an seine Kranken und Verwundeten, an seine abgekämpfte Besatzung, an die zusammengeschmolzenen Vorräte, an die Umsegelung des Kap Hoorn und an die viertausend Meilen, die von dort aus zwischen ihm und England lagen. Und noch mehr: er entsann sich der ergänzenden Befehle, die er beim Verlassen Englands mitbekommen hatte und die dahin lauteten, Spanisch-Amerika dem britischen Handel zu erschließen und die Baumöglichkeiten für einen die Landenge durchstechenden Kanal zu erkunden.
»Sie kennen den Inhalt dieses Schreibens, Sir?«
»Jawohl, Sir.«
Des Spaniers Haltung drückte Hochmut, ja beinahe Unverschämtheit aus.
»Können Sie mir dieses äußerst unliebenswürdige Benehmen des Vizekönigs erklären?«
»Ich erachte mich nicht dazu befugt, meines Gebieters Handlungen zu erläutern, Sir.«
»Dennoch bedürfen sie dieser Erläuterungen dringend. Ich begreife nicht, wie irgendein zivilisierter Mensch seinen Verbündeten im Stich lassen kann, der für ihn kämpfte und nur wegen der Folgen dieser Kämpfe Hilfe benötigt.«
»Sie kamen ungebeten in diese Gegend, Sir. Es hätte sich für Sie nicht die Notwendigkeit eines Kampfes ergeben, wenn sie dort geblieben wären, wo Ihr König gebietet. Die Südsee ist das Eigentum Seiner Katholischen Majestät, der dort keinen Eindringling duldet.«
»Ich verstehe«, sagte Hornblower.
Er erriet, daß neue Befehle eingelaufen waren, da die spanische Regierung inzwischen Nachricht vom Erscheinen einer englischen Fregatte im Pazifik erhalten hatte. Die Erhaltung der Alleinherrschaft in diesen Gebieten bedeutete für die Spanier eine Lebensfrage. In dieser Hinsicht kannte die spanische Regierung keine Bedenken. Sie schreckte auch nicht davor zurück, einen Verbündeten zu einer Zeit vor den Kopf zu stoßen, während sie selbst in einen Kampf auf Leben und Tod mit dem mächtigsten Despoten Europas verwickelt war. Die Regierenden in Madrid empfanden die Anwesenheit der Lydia als einen Hinweis auf das Kommen einer ganzen Flut britischer Händler. Sie mußten fürchten, daß jener bisher unausgesetzte Zustrom von Gold und Silber, auf dem der Bestand der Regierung fußte, versiegen würde und daß - was noch schlimmer war - die Ketzerei zu einem Erdteil Zutritt fand, der dem Papst durch drei Jahrhunderte die Treue gehalten hatte. Daß Spanisch-Amerika arm, schlecht regiert und von Krankheiten heimgesucht war, spielte ebensowenig eine Rolle wie die Tatsache, daß die übrige Welt den Ausschluß um so peinlicher empfand, als das Kontinentalsystem Napoleons ohnehin den europäischen Handel zugrunde gerichtet hatte.
In einem hellsichtigen Augenblick sah Hornblower voraus, daß die Welt sich auf die Dauer einen solchen Grad des Egoismus nicht gefallen lassen und daß Spanisch-Amerika unter allgemeinem Beifall demnächst das spanische Joch abwerfen werde. Später, wenn weder Spanien noch Neu-Granada den Durchstich der Landenge vornahmen, würde es jemand anders für sie tun. Es lag ihm auf der Zunge, seine Gedanken auszusprechen, aber seine angeborene Vorsieht ließ ihn davon Abstand nehmen. Wenn er auch außerordentlich schlecht behandelt worden war, ließ sich doch durch einen offenen Bruch nichts gewinnen. Auch war es eine feinere Rache, die Gedanken für sich zu behalten.
»Sehr
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