Hornblower 05 - Der Kapitän
der Bordwand hatte man zunächst einmal mit Segeltuch geflickt. An Backbord waren die Ränder der Stückpforten schwarz von Pulverrückständen. An einer Stelle ragte eine Achtzehnpfünderkugel halb aus dem zähen Eichenholz hervor, in dem sie steckengeblieben war. Andrerseits aber war ein gewaltiges Stück Arbeit geleistet worden; vom Auslegen der Gefallenen bis zum Seefestzurren der Geschütze. Wenn man die Müdigkeit der Besatzung nicht in Rechnung stellen wollte, konnte die Lydia jederzeit wieder ins Gefecht treten.
Das Gefühl, daß so viel getan worden war, während er selbst faul in seinem Liegestuhl schlief, versetzte Hornblower einen Stich. Er zwang sich dazu, keinen Ärger darüber aufkommen zu lassen. Obwohl er dadurch, daß er Bushs Tatkraft lobte, sein eigenes Versagen zugab, mußte er doch ritterlich handeln.
»Wirklich ausgezeichnet, Mr. Bush«, sagte er, indem er zu seinem Ersten Offizier trat. Dennoch klangen seine Worte etwas kalt. Seine ihm angeborene Schüchternheit und ein gewisses Schamgefühl trugen die Schuld daran. »Ich bin ebenso erstaunt wie erfreut über die von Ihnen geleistete Arbeit.«
»Es ist Sonntag, Sir«, sagte Bush schlicht.
Das traf allerdings zu. Am Sonntag pflegte der Kapitän einen Rundgang durchs Schiff zu machen, um sich durch die Besichtigung aller Einzelteile davon zu überzeugen, daß der Erste Offizier seiner Aufgabe gewachsen war, das Schiff instand zu halten. So mußte am Sonntagmorgen alles tadellos aufgeräumt, das Tauwerk sauber aufgeschossen sein. Die Mannschaft trat im besten Anzug divisionsweise zur Musterung an; es wurde ein Gottesdienst abgehalten, nach dem die Kriegsartikel zur Verlesung kamen; kurzum, Sonntag war der Tag, an dem jeder Erste Offizier Seiner Britannischen Majestät Marine auf Herz und Nieren geprüft wurde.
Hornblower konnte ein Lächeln über die Erklärung nicht ganz unterdrücken.
»Sonntag oder Alltag«, nickte er, »Sie haben Ihre Sache glänzend gemacht, Mr. Bush.«
»Danke, Sir.«
»Ich werde daran denken, wenn ich meinen Bericht an die Admiralität schreibe.«
»Ich weiß, daß Sie das tun werden, Sir.«
Ein Ausdruck der Freude erhellte Bushs müdes Gesicht. Nach einem erfolgreichen Einzelgefecht wurde ein Kapitänleutnant - welchen Rang Bush bekleidete - meistens zum Korvettenkapitän befördert, und Bush, der weder Familie noch Verbindungen hatte, hegte die große Hoffnung, alsbald diesen entscheidenden Schritt auf der Stufenleiter der Rangordnung machen zu können.
Andrerseits konnte ein eigennütziger Kommandant, der sich allein den Ruhm des Sieges sichern wollte, den Bericht so abfassen, als habe er den Erfolg ohne die Hilfe seines Untergebenen errungen.
»Die Sache wird in England Aufsehen erregen«, meinte Hornblower.
»Sicherlich, Sir. Es kommt nicht alle Tage vor, daß eine Fregatte ein Linienschiff versenkt.«
Es war etwas gewagt, die Natividad so zu bezeichnen. Als sie sechzig Jahre früher gebaut wurde, mochte sie gerade noch geeignet gewesen sein, im Geschwader der Linienschiffe mitzufahren, aber seither hatten sich die Zeiten geändert.
Immerhin blieb die Tatsache bestehen, daß die Lydia einen beachtenswerten Sieg davongetragen hatte. Die ganze Bedeutung seines Erfolges kam Hornblower erst jetzt voll zum Bewußtsein, und seine Stimmung besserte sich dementsprechend. Das britische Volk konnte stolz sein über dieses Seetreffen, und es geschah nicht selten, daß sich die Admiralität der öffentlichen Meinung anschloß.
»Na, und wie sieht die Metzgerrechnung aus?« fragte Hornblower, womit er in brutaler Form dem Gedanken Ausdruck verlieh, der sie beide bewegte. Er wäre sich sentimental vorgekommen, falls er sich anders ausgedrückt hätte.
»Achtunddreißig Tote, Sir«, meldete Busch, der einen schmutzigen Zettel aus der Tasche zog. »Fünfundsiebzig Verwundete und vier Vermißte. Die Vermißten sind Harper, Dawson, North und Chump, der Neger; sie gehörten zur Besatzung der versenkten Barkaß. Clay fiel im ersten Gefecht...«
Hornblower nickte. Er erinnerte sich, daß er den kopflosen Körper Clays auf dem Achterdeck hatte liegen sehen.
»Gefallen sind ferner der Obersteuermannsmaat John Summers sowie die Bootsmannsmaate Henry Vincent und James Clifton. Verwundet wurden die Leutnants Galbraith und Simmonds; außerdem der Midshipman Howard Savage und vier andere Deckoffiziere.«
»Galbraith?« fragte Hornblower besorgt. »Schwer, Sir. Beide Beine unterhalb der Knie zerschmettert.« Galbraith hatte
Weitere Kostenlose Bücher