Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
des Kapitäns Fell auf Einleitung eines kriegsgerichtlichen Verfahrens gegen den Spielmann Hudnutt von den Royal Marines ›wegen vorsätzlichen und fortgesetzten Ungehorsams gegen einen dienstlichen Befehl‹ . Wurde eine solche Anschuldigung durch Beweis erhärtet, so hatte sie unweigerlich ein Todesurteil oder eine so unbarmherzige Auspeitschung zur Folge, daß der Tod dagegen gnädig gewesen wäre. Spendlove wußte nur zu genau, daß Henken und Auspeitschen seinem Admiral in der Seele zuwider waren. ›Die Beschuldigung stammt wahrscheinlich vom Tambour-Major‹, sagte sich Hornblower.
Er kannte den Tambourmajor Cobb recht gut, zum mindesten so genau, wie es die gegebenen Umstände mit sich brachten. Als Admiral und Oberbefehlshaber hatte Hornblower seine eigene Musikkapelle, und diese war Cobb unterstellt, der den Rang eines Deckoffiziers besaß. Von allen dienstlichen Veranstaltungen, die eine Mitwirkung der Musik erforderten, meldete sich Cobb bei Hornblower, um Befehle und Anweisungen entgegenzunehmen. Dieser tat dann immer recht sachverständig und nahm die Vorschläge des Tambourmajors bedächtig nickend an. Er hätte nie öffentlich zugegeben, daß er keine Note von der anderen unterscheiden konnte und Melodien nur nach ihrem verschiedenen Tempo - oder auch nach ihrem Takt - auseinanderhielt. Dabei fragte er sich immer wieder mit leisem Unbehagen, ob die Leute nicht doch schon genauer über seinen musikalischen Defekt Bescheid wußten als er ahnte.
»Sie sagten, der Fall sei ungewöhnlich, Spendlove. Wie ist das zu verstehen?«
»Ich glaube, es geht da irgendwie um das künstlerische Gewissen, Mylord«, gab Spendlove vorsichtig zur Antwort.
Hornblower schenkte sich die zweite Tasse ein und probierte sie umständlich. ›Soll man aus seiner Miene schließen, dachte Spendlove, daß es dem armen Hudnutt an den Kragen geht?‹ Aber Hornblower war im Augenblick nur ein wenig gereizt, wie immer, wenn er sich irgendwelches Geschwätz der Leute anhören mußte. Ein Admiral erfuhr eben in seiner erhabenen Abgeschlossenheit nie - oder doch höchst selten - soviel von dem, was sich innerhalb seiner Sphäre begab, wie sein allerjüngster Untergebener.
»Um das künstlerische Gewissen?« wiederholte er. »Ich möchte den Tambourmajor noch heute vormittag sprechen.
Lassen Sie ihn sofort holen.«
»Aye, aye, Mylord.«
Jetzt hatte er wenigstens einen Anhaltspunkt und brauchte darum der Sache vorläufig nicht nachzugehen, es sei denn, daß die Unterredung mit Cobb nicht zu dem gewünschten Ergebnis führte.
»Bis er kommt, lassen Sie mich noch einmal die Wasserstandsmeldung sehen.«
Tambourmajor Cobb ließ noch eine ganze Weile auf sich warten. Als er endlich erschien, legte seine glanzvolle Uniform die Vermutung nahe, daß er sich mit größter Sorgfalt herausstaffiert hatte. Uniformrock und Hose waren frisch gebügelt, die Knöpfe blitzten, die Schärpe saß peinlich genau, der Säbelgriff funkelte wie Silber. Cobb war ein gewaltiger Mann mit ebenso gewaltigem Schnurrbart und gestaltete sein Erscheinen zu einem gewaltigen Auftritt. Der Fußboden dröhnte unter seinen Schritten, als wöge er das Doppelte seines wirklichen Gewichts. Vor dem Schreibtisch machte er mit klappenden Hacken halt und führte die Rechte zu jenem schwungvollen Gruß an die Mütze, der unter den Seesoldaten gerade als besonders schick galt. »Guten Morgen, Mr. Cobb«, sagte Hornblower freundlich. Die Anrede Mister hatte gleich dem Offizierssäbel die Bedeutung, daß Cobb kraft seiner Bestallung ein Gentleman war, obwohl er sich aus dem Mannschaftsstande emporgedient hatte.
»Guten Morgen, Mylord.« Seine Anrede war mindestens ebenso schwungvoll wie sein militärischer Gruß. »Ich hätte gerne von Ihnen gehört, was Sie gegen diesen Spielmann Hudnutt vorzubringen haben.«
»Nun, Mylord...« Ein Seitenblick Cobbs wurde von Hornblower sofort verstanden.
»Gehen Sie solange hinaus«, sagte er seinen beiden jungen Leuten, »und lassen Sie mich mit Mr. Cobb allein.« Als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, wandte sich Hornblower in höflichster Form an seinen Besucher. »Bitte nehmen Sie Platz, Mr. Cobb. Und nun erzählen Sie mir ganz zwanglos, was wirklich vorgefallen ist.«
»Danke, Mylord.«
»Nun, schießen Sie los.«
»Der junge Hudnutt ist glatt verrückt geworden, Mylord. Mir tut es selbst leid, daß es so gekommen ist, Mylord, aber er hat reichlich verdient, was ihm jetzt bevorsteht.«
»Meinen Sie? Sie sagen, er sei
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