Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
Umweg. Als es an der Zeit war, spazierte er durch den schönen Garten des Admiralitätsgebäudes, und Evans, der invalide Matrose, der die Stelle eines Obergärtners innehatte, kam sogleich diensteifrig herbeigehumpelt, um das Pförtchen in der fünf Meter hohen Palisadenwand zu öffnen, die das Werftgebiet vor Dieben sichern sollte und auf dieser Strecke den Admiralitätsgarten von der Werft trennte. Evans riß den Hut vom Kopf und erging sich neben der Pforte in so eifrigen Bücklingen, daß das Zöpfchen in seinem Nacken richtig auf und nieder hüpfte. Gleichzeitig verzog sich sein sonnengebräuntes Gesicht zu einem strahlenden Grinsen.
»Besten Dank, Evans«, sagte Hornblower, während er die Pforte durchschritt.
Das Gefängnis stand etwas abseits am Rande des Werftgeländes, es war ein kleines, würfelförmiges Gebäude aus Mahagonibalken, die merkwürdigerweise schräg von unten nach oben liefen. Vielleicht, nein, bestimmt bestanden die Wände aus mehreren dieser Balkenlagen. Das Haus war mit einem über meterdicken Dach aus Palmblättern gedeckt, so daß es drinnen auch bei brennender Sonnenhitze wenigstens einigermaßen kühl blieb. Gerard war von der Pforte aus vorausgeeilt - Hornblower dachte schadenfroh an den Schweiß, den ihn diese heilsame Anstrengung kosten würde -, um den Offizier vom Dienst zu suchen und sich den Schlüssel zum Gefängnis geben zu lassen.
Hornblower trat beiseite, bis das Vorhängeschloß aufgesperrt war und die geöffnete Tür einen Blick in das dunkle Innere erlaubte. Hudnutt hatte sich sofort erhoben, als er das Geräusch des Schlüssels hörte, und als er jetzt nach vorn und ins Licht trat, zeigte es sich, daß er noch bestürzend jung war. Sein vierundzwanzig Stunden alter Bart hatte auf seinen Wangen noch kaum eine Spur hinterlassen. Er war bis auf ein Lendentuch splitternackt, und der Offizier vom Dienst schnalzte ärgerlich mit der Zunge, als er ihn so vor sich sah.
»Zieh dich erst einmal anständig an«, knurrte er, aber Hornblower fiel ihm ins Wort.
»Das macht nichts. Ich habe nur sehr wenig Zeit. Der Mann soll mir lediglich sagen, warum er unter Anklage steht. Alle andern halten sich solange außer Hörweite.« Hudnutt war angesichts dieses unerwarteten Besuchs ganz aus der Fassung geraten, aber er neigte augenscheinlich schon von Natur aus dazu, den Kopf zu verlieren. Er blinzelte mit seinen großen blauen Augen im blendenden Sonnenlicht und schlenkerte vor Verlegenheit unausgesetzt mit den hageren Gliedern.
»Was hast du verbrochen? Erzähl mir«, sagte Hornblower.
»Nun, Sir...«
Hornblower mußte ihm die Geschichte förmlich aus der Nase ziehen, und doch bestätigte der Junge dabei der Reihe nach alles, was Cobb gegen ihn vorgebracht hatte. »Ich hätte dies Stück nicht spielen können, Sir, nicht um die Welt.«
Die blauen Augen blickten über Hornblower hinweg ins Unendliche, vielleicht nahmen sie in diesem Augenblick eine Vision in sich auf, von der die übrige Welt nichts ahnte.
»Es war sehr töricht von dir, den Gehorsam zu verweigern.«
»Jawohl, Sir, das gebe ich zu.«
Es war seltsam, in dieser tropischen Umgebung Hudnutts breites Yorkshire-Englisch zu hören. »Warum gingst du eigentlich zum Militär?«
»Der Musik wegen, Sir.«
Es bedurfte noch mancher Fragen, um ihm seine Geschichte zu entlocken. Da war zuerst ein kleiner Junge in einem Yorkshire-Dorf, der nicht selten richtigen Hunger litt. In einem der letzten Kriegsjahre erschien eines Tages ein Reiterregiment in seinem Dorf und bezog dort Quartier. Die Musik seines Trompeterkorps wirkte auf den kleinen Jungen, der in den zehn kurzen Jahren seines Lebens höchstens einmal einen wandernden Pfeifer gehört hatte, wie ein hinreißendes, unbegreifliches Wunder, das ihn nicht mehr loslassen wollte.
Diese Leidenschaft war wohl schon immer dagewesen, jetzt aber kam sie ihm erst richtig zum Bewußtsein. Die Dorfkinder pflegten wohl alle um die Musik herumzulungern (Hudnutt lächelte entwaffnend, als er das sagte), aber keiner trieb das mit solcher Ausdauer wie er. Die Trompeter wurden denn auch bald auf den kleinen Kerl aufmerksam und hörten sich lachend die kindlichen Weisheiten an, die er über seine geliebte Musik von sich zu geben pflegte. Mit der Zeit lachten sie nicht mehr so überlegen, sondern immer kollegialer, sie ließen ihn ihre Instrumente probieren, sie zeigten ihm, wie man die Lippen netzen mußte und fanden das Ergebnis staunenswert. Nach Waterloo kehrte das Regiment zurück,
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