Hornjäger (German Edition)
sie einen Blick auf sich spürte, hob sie den Kopf. Kerfluns saß nachdenklich auf seine Thronlehne gestützt am Ende des Saales und starrte aus seinen gelben Augen zu ihnen herüber. Er schien Euphenas Blick gar nicht zu bemerken und zwirbelte weiter das Ende seines schwarzen Bartes. Erst als sie ihm zunickte, schüttelte er seine Starre ab und legte freundlich lächelnd die Augen auf sie. Sie schien an dem Abend nicht die Einzige zu sein, die ihren Gedanken nachhing.
Euphena rührte sich nicht von Helwyrs Seite. Er plauderte fröhlich mit Astos, als gäbe es keine Schwierigkeit auf dieser Welt, die sie nicht überwinden konnten. Behutsam legte sie ihre Hand auf seinen Oberschenkel. Seine Fleischwunde, die der Eber ihm geschlagen hatte, war fast zur Gänze verheilt. Wenn man ihn beim Gehen beobachtete, erinnerte nichts mehr an seine Gebrechlichkeit. Euphena würde das schrecklich vermissen; über seine warme Haut streichen zu können und zu wissen, dass er da war, wenn sie sich umdrehte. Genauso wie ihr Kerfluns und die anderen fehlen würden. So herzlich hatte sie sich noch nirgendwo aufgenommen gefühlt. Sie war als Gefahr hier angekommen und wollte ihren König bestehlen ... seit ihrem ersten Abend hier, hatte das keiner je wieder erwähnt!
Alles, was sie im Moment wollte, war diesen letzten gemeinsamen Abend zu genießen, denn morgen früh, wenn ihr Verschwinden bemerkt worden war und sie sich heimlich davongestohlen hatte, würde hier keiner mehr im Guten an sie denken.
Kerfluns ließ einen Trommelwirbel erklingen. »Bevor wir alle müde werden und ihr alle auf den Tischen einpennt«, er wies auf die ersten Schnarchnasen »ist es Zeit zum Schäfchenzählen!«
Der Saal jubelte, schnell stellten sich die jungen Böcke auf, die ihr Glück versuchen wollten.
»Helwyr gebt Ihr uns mit Eurem Freund die Ehre?« Kerfluns sagte es ohne viel Freude, aber doch mit einem gewissen Bemühen in der Stimme.
»Na geh schon!« Euphena grinste und schob ihn von der Bank.
Er küsste sie zärtlich und zog Astos mit sich.
»Nennt den Preis, Vater!« Redlef maß Helwyr mit einem abschätzigen Blick.
Kerfluns grinste in Euphenas Richtung. Schnell schüttelte sie wortlos den Kopf.
»Der Lohn des einzig wahren Bockes soll ein Fässchen meines selbstgebrauten Honigweines sein!«, verkündeter er schließlich mit lauter Stimme.
Euphena atmete erleichtert auf.
Larin und zwei weitere Aigidinnen brachten die Weinkrüge. Um sie herum wurde angefeuert, gepfiffen und geschrien, trotzdem fielen gleich in der ersten Runde zwei Schäfchen aus. Helwyr und Astos kamen weiter. Das Fassspringen war zuerst kein Problem, aber beim zweiten Sprung, rannte Astos mitten in die stützenden Aigiden und rollte gemeinsam mit dem Fass über den Boden.
Helwyr hielt sich bis zu den Kämpfen. Er musste gegen Gafr antreten, der ihn nach einem Überraschungsmoment seinerseits auf den Boden rang. Helwyr gelang es sich zu befreien und packte ihn bei den Hörnern, unterschätzte aber die gewaltige Kraft seines Nackens und wurde von Gafr schlichtweg umgerannt. Helwyr hob den Arm und wurde von seinem Kontrahenten lachend auf die Beine gezogen.
»Leider nur ein Schaf ...« Ein wenig enttäuscht zuckte er mit den Achseln und setzte sich wieder neben Euphena.
»Ich mag Schafe ... außerdem bist du für einen Hornlosen erstaunlich weit gekommen!« Sie lehnte den Kopf an seine Schulter.
»Das sollten wir zu Hause auch einführen ... meinst du nicht auch? Es gäbe eine Menge Menschen, die sich dafür begeistern könnten.«
Euphena lachte. »Bestimmt!« Helwyr redete, als würden sie bald wieder ihr gewohntes Leben haben, als wären die schlimmen Dinge gar nicht passiert. Sie zogen sich in den hintersten Winkel des Langhauses zurück und kuschelten sich nebeneinander ins Stroh. Das Schäfchengezähle ging gerade erst in die letzte Runde und spaltete den Saal in zwei Lager. Die Redlefbejubler und die Gafranfeurer.
»Morgen ist dann alles anders«, murmelte Helwyr schläfrig. »Da endet diese wunderbare Traumwelt und alles geht dann den Bach runter.«
»Schh«, machte Euphena. »Da denken wir erst morgen dran!«
Sie küsste ihn lange und innig. Nichts erschien ihr schlimmer, als sich in diesem Augenblick, von seinen Lippen lösen zu müssen! Ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Wie schlicht und einfach doch im Augenblick alles war! Euphena schloss die Augen und gab Helwyr ihren letzten Kuss.
E uphena blickte hinaus in den Regen. Die Kutsche ruckelte
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