Horror Factory 13 - Epitaph
Nacken.«
Naumann verzog skeptisch die Mundwinkel, ließ die Hand jedoch wieder sinken. »Und wieso darf dich niemand berühren?«
»Weil Sie mich auf die andere Seite geschickt haben – und ich nun ihr gehöre.«
»Frei nach dem Motto: Wer’s findet, darf’s behalten, was?« Naumann sammelte die auf der Matratze ausgelegten Fotos ein und verstaute sie wieder in der Mappe. »Was für eine gequirlte Scheiße …« Seufzend erhob er sich und baute sich wie ein Scharfrichter vor mir auf. »Bringen Sie ihn runter zum Interface«, wies er Liju an. »Wir wiederholen die letzte Sequenz. Und sorgen Sie dafür, dass er vorher gewaschen wird«, fügte er beim Verlassen der Zelle hinzu. »Dieser Gestank ist kaum zu ertragen.«
*
Unter ›waschen‹ verstand man in diesen Mauern das Abspritzen mit eiskaltem Wasser aus einem Feuerwehrschlauch. Bevorzugtes Ziel der Waschbrigade waren meine Genitalien und mein Gesicht. Zu Beginn stand ich noch tapfer, mit den Händen an der Wand, den Rücken ihnen zugewandt. Nach zehn Minuten lag ich verkrümmt in der Ecke, kackte vor Schmerz über die Fliesen und versuchte mich so gut es ging vor dem steinharten Strahl zu schützen. Als er schließlich verebbte, blieb ich zitternd und mit vor Kälte verkrampften Muskeln liegen.
Man zog mich auf die Beine, warf mir eine Wolldecke über die Schultern und führte mich durch das Gebäude in einen Aufzug. Schließgitter knallten, dann bewegte sich der Lift abwärts. Ich nahm meine Umgebung wie durch einen Schleier wahr. Mal wurde es hell, sobald wir ein Stockwerk passierten, dann wieder dunkel. Als die Kabine zum sechsten Mal von Licht durchflutet wurde, stoppte der Lift ruckartig und ließ mich einknicken. Ein Signalton ertönte, dann glitten die Gittertüren auf und gaben den Blick frei auf ein mächtiges Portal. Die Schnellfeuergewehre der Wachen ließen erahnen, dass dahinter Bedeutendes verborgen war.
Ich schlang die Decke enger um meinen Körper, um mich vor der Kälte zu schützen, und starrte beklommen auf die Stahltür, in die ein verspiegeltes, bullaugenähnliches Fenster eingelassen war, kaum größer als ein Handteller. Hinter dem Portal, siebzig Meter unter den Tempelruinen von Prasat Kraham, lag der Dom.
Ich blickte hinauf zum Türfirst. Fast jedes berüchtigte Todesportal verkündete seine ureigene Botschaft, sei es die demoralisierende Inschrift › Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren‹ über Dantes Höllentor oder zynisch verklärte Sprüche wie ›Arbeit macht frei‹ und ›Jedem das Seine‹ über den Toren von Auschwitz und Buchenwald.
SAPIENTIA MORTUORUM MAGNA EST
prangte auf dem massiven Bronzebanner über dem Türfirst.
Groß ist die Weisheit der Toten!
*
Lijus Augenpartie erschien für einen Moment hinter dem Sichtfenster. Ein elektrischer Schließmechanismus summte, begleitet vom Zurückgleiten massiver Sperrbolzen, dann wurde die Stahltür lautlos aufgezogen. Ein Schwall warmer, von Naumanns Zigarrenqualm geschwängerter Luft hüllte uns ein. Liju musterte mich von Kopf bis Fuß, dann bedeutete sie den Wachen, sich zurückzuziehen. »Wurde auch Zeit«, sagte sie und trat beiseite. »Na los, worauf wartest du?«
Ich zögerte eine Sekunde zu lange, woraufhin mich der Kolben einer Waffe in den Rücken traf und vorwärtsstolpern ließ. Liju reagierte mit der Kaltblütigkeit einer gereizten Kobra: Sie zog ihre Waffe und schoss, ohne hinzusehen. Ich vernahm keinen Schmerzensschrei, hörte nur, wie ein Körper zu Boden ging. Schweigend steckte Liju ihre Pistole zurück in das Holster und schloss das Portal, ohne sich um das weitere Geschehen auf dem Korridor zu kümmern. Ob sie Naumanns übermotivierten Handlanger erschossen oder nur verletzt hatte, würde ich nie erfahren. Ich rappelte mich auf und ging so zügig an ihr vorbei, wie es mir barfuß auf dem Gittersteg möglich war, darauf achtend, keine der Schaumstoffpyramiden zu touchieren, die ihn säumten.
Der Dom erinnerte an den Kessel eines Amphitheaters, mit dem Unterschied, dass er komplett als schalltoter Raum konzipiert war. Boden, Scheinränge, Wände und Deckenpaneele waren fast vollständig mit Pyramidenabsorbern aus dunkelgrauem Schaumstoff verkleidet. Lediglich einige Stromleitungen und vergitterte Belüftungsschächte waren zwischen den Gebilden zu erkennen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Saals war die Doppeltür eines Notausganges versteckt.
Der Dom besaß die Form eines gestauchten Oktaeders und maß an seiner höchsten Stelle gut
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