Horror Factory 13 - Epitaph
fünfzehn Meter. Auf halber Höhe wurde die Kuppel von einem Ring aus Scheinwerfern geteilt, die allesamt auf das Herzstück der Anlage ausgerichtet waren. Auf einer podiumsartigen Erhöhung im Zentrum des Saals erhob sich ein vier Meter hoher, an ein Radom erinnernder, mit Antennen gespickter Polyeder: der Epitaph .
Technisch gesehen war das, was sich unter seiner mattschwarzen Schale verbarg, ein Infraschallwellendecoder. Er lauschte jedoch weder in den irdischen Äther noch horchte er ins All, sondern in eine Sphäre, die Naumann Naraya- Dimension nannte. Dank einiger Modifikationen arbeitete der Epitaph unter seiner Ägide wie eine Mischung aus Faraday-Käfig, Samadhi-Tank, Orgon-Akkumulator und Hightech- Ouija . Halb in die Konstruktion integriert und umringt von einer sichelförmigen Monitoring-Burg, ragte ein dick gepolsterter Liegesessel aus dem Radom, dessen Rückenlehne gleichzeitig ein Gehäusemodul der Epitaph- Verschalung bildete. Verborgen hinter einer Phalanx aus Bildschirmen, Messinstrumenten, Aufzeichnungsgeräten und einem Mischpult saß Naumann und kontaminierte die Luft mit dem Gestank billiger Zigarillos. Außer ihm, seiner Assistentin und mir hielten sich keine weiteren Personen im Dom auf.
Liju zog mir die Decke von den Schultern, wobei sie es sich nicht nehmen ließ, mich ausgiebig zu mustern, ehe sie mir ein Leinenhemd und eine Hose reichte. Auf meiner Flucht nach Sisophon hatte ich mir etliche Blessuren zugezogen. Mein Körper war übersät mit Hämatomen, Insektenstichen, Schnitt- und Schürfwunden.
»Hier.« Naumann reichte mir einen Pappbecher mit süßem, lauwarmem Kaffee, dem die üblichen Ingredienzien beigemischt waren. »Du kennst ja das Prozedere.« Er musterte mich, derweil ich wortlos austrank. »Wir werden die letzte Transitfrequenz wiederholen. Du hattest berichtet, dass sich irgendetwas in deiner Nähe aufhalten würde«, las er vom letzten Sitzungsprotokoll ab. »Etwas, das du allerdings weder hattest sehen noch berühren können; womöglich eine Entität, die wir seit Jahren vergeblich aufzuspüren versuchen. Etwas Endemisches, Entopisches, Indigenes.« Er blickte auf. »Und dann hattest du ärgerlicherweise Fahnenflucht begangen.«
Ich stellte den leeren Becher auf die Konsole. »Es machte mir Angst …«
»Angst vor dem Unbekannten ist die älteste und stärkste Empfindung des Menschen. Sie trieb Priester wie Pöbel zu einem Wort Gottes und schaurigen Höllenmythen. Angst prägt die Welt über uns. Niemand will dem Siechtum verfallen, in den Krieg ziehen oder Hunger leiden müssen, und jeder würde am liebsten ewig leben. Und siehe, ich werde Weisheit über sie bringen und die Krücken ihres Geistes brechen. « Er wies auf den integrierten Sessel. » Hokaheh, Nekronaut .«
*
Die erfolgversprechendste Therapie einer retrograden Amnesie, so hatte Naumann mir vor Monaten erzählt, sei eine Rückkehr in den ›gewohnten‹ Lebenskreis, verbunden mit viel Zeit und Geduld – sofern besagter Lebenskreis ermittelt werden kann. Ferner wären bei ehemaligen Patienten auch Rückführungen in Form von Hypnosesitzungen zumeist positiv verlaufen. Da eine aus intensivem Drogenmissbrauch resultierende Amnesie mit meinem Fall jedoch nicht vergleichbar sei, stünde mir eine Therapiemöglichkeit zur Verfügung, die bei Suchtpatienten zu riskant wäre; eine Art computergestützter Wiederherstellungsprozess, den Naumann metaphysisches Random-Memory-Reconstructing nannte. Es war ein Verfahren, bei dem mit den verbliebenen Fähigkeiten des Patienten gearbeitet wurde, wodurch retrograde Amnesien teilweise aufgearbeitet werden konnten. Zwar könnte meine Erinnerung niemals vollständig rekonstruiert werden, aber ich hätte die Gelegenheit zu lernen, mit der fehlenden Vergangenheit umzugehen und so besser mit dem Verlust zu leben.
Die revolutionäre Apparatur, die dieses Kunststück möglich machen sollte, nannte sich Enzephalogramm-Piktograph – oder kurz: Epitaph . Sie war eine Art Mensch-Metaversum-Schnittstelle, ein frequenzbasiertes Seelen-Interface – oder wie Naumann es scherzhaft bezeichnete: ein Traumfänger. Die Therapie bestand im Wesentlichen darin, aus vorhandenen Erinnerungen eine metaphysische Welt zu projizieren, die ich im Verlauf der Sitzungen immer weiter ausbauen sollte. Dabei erfüllte der Epitaph sowohl die Aufgabe eines Transmitters als auch die eines Transformators und Rekorders. Nach jeder Sitzung wurden meine Wahrnehmungsinhalte gespeichert, sodass ich zu Beginn
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