Horror Factory - Der Behüter(German Edition)
bereute Alenka ihre Entscheidungen nicht. Denn sie dienten dem einzigen Ziel, das sie in diesem Leben noch antrieb.
Der Name des Ziels lautete Rache.
*
Am Abend vor ihrer Entlassung aus der Reha-Klinik saß Alenka in ihrem Patientenzimmer vor dem Laptop und loggte sich bei Facebook ein. Die Krücken standen in der Ecke. Alenka benötigte sie nicht mehr. Ihre Regeneration war unwahrscheinlich schnell vorangeschritten. Entgegen der ursprünglichen ärztlichen Prognose würde sie ohne Gehhilfen heimkehren können.
Die Facebook-Seite mit dem Namen Alenka kriegt’s gern hart besorgt und den Vergewaltigungs-Fotos hatte schon über 8.000 ›Fans‹. Alenka kümmerte es nicht mehr. Sie war entschlossen, ihre Feinde mit deren eigenen Waffen zu bekämpfen.
Vor fünf Tagen war sie auf die Facebook-Seite von Arslan Hanssen gegangen und hatte die Freundschafts-Anfrage, die er ihr vor Wochen gestellt hatte, bestätigt. Nun war sie die Facebook-Freundin ihres Todfeindes; sie konnte sich frei auf seiner Facebook-Seite bewegen und Eindrücke sammeln. Sie wusste, dass er im Gegensatz zu seinen beiden Kumpanen Intelligenz besaß. Die Frage war, ob er eine Falle witterte und Alenka umgehend auf seiner Seite blockierte – oder ob er die Anfrage als Kapitulation auffasste. Er war jedoch genau der Macho-Typ, der glaubte, dass Frauen, die man lange genug klopfte, endlich handzahm wurden.
Noch hatte Arslan Hanssen sie nicht aus seiner Freundesliste entfernt. Stattdessen nutzte er die Möglichkeit, auf Alenkas Seite anzügliche Kommentare zu streuen.
Für Alenka war der Zeitpunkt gekommen, den Köder auszulegen. Sie schrieb Arslan Hanssen eine Facebook-Nachricht:
Du hast meinen Glücksbringer. Das silberne Amulett, das ich um den Hals getragen hatte. Ich brauche es zurück und bin auch zu einer Gegenleistung bereit. Bitte melde dich!
Sie hatte bewusst ›Gegenleistung‹ und nicht ›Bezahlung‹ geschrieben. Das stachelte seine Neugier an und ließ seiner Fantasie Spielraum.
Alenka klickte auf ›Nachricht senden‹.
*
» Den hast du geklaut?«, staunte Gordian. »Du hast dein eigenes Auto geklaut?« Er blickte ungläubig auf die Fahrzeugbeschriftung des Wagens und den Namen der Fahrschule, der an der Autotür prangte.
Alenka schüttelte den Kopf. Sie informierte Gordian darüber, dass sie das vermillionrote BMW-1er-Coupé verkauft hatte, zusammen mit ihrer Fahrschule und dem dazugehörigen Fuhrpark. »Mikhail hätte mir den Wagen gern geliehen. Ich hätte ihn nur zu fragen brauchen«, erklärte Alenka. »Aber ich will ihn da nicht mit reinziehen. Wenn er die Karre als gestohlen meldet, zahlt wenigstens die Versicherung.«
Die Hinterhofwerkstatt gehörte einem Kirchenmitglied, das Oldtimer instand setzte. Richard, so hieß der Mechaniker, arbeitete gerade im Innenraum des BMW. Alenka hatte ihn beauftragt, auf der Beifahrerseite einen Schalensitz mit Sechspunktgurt einzubauen und einige weitere Veränderungen vorzunehmen. Richards Behüter, ein hagerer, sehniger Graukopf mit Augen wie Silberkugeln, stand daneben und schaute unbeteiligt zu. Auch Jeliel und Gordians Behüter fehlten nicht. Alenka hatte fast erwartet, dass Jeliel und der fremde Behüter sich gegenseitig ›beschnuppern‹ würden wie Hunde. Stattdessen hatten sie einander völlig ignoriert. Behüter waren die meiste Zeit über so passiv, dass Alenka tatsächlich begann, sich an Jeliel zu gewöhnen, und seine Gegenwart mitunter völlig vergaß.
Alenka hatte die Nummernschilder ausgetauscht und eben damit begonnen, die Fahrzeugbeschriftung zu entfernen, als Gordian dazugekommen war. Er war es gewesen, der ihr Richards Werkstatt empfohlen hatte. Eine Weile lang sah er schweigend zu, wie Alenka die Folienschrift mit der Heißluftpistole bestrich. »So wie du jetzt aussiehst, gefällst du mir viel besser, Alenka«, sagte er unvermittelt. »Deine frühere Aufmachung, die hat gar nicht zu dir gepasst. Und blond steht dir super.«
Alenka lächelte schwach. Sie war wieder zu ihrer natürlichen Haarfarbe und ihrem alten, pornobrillenlosen Look mit Shirt und Bluejeans zurückgekehrt. »Die waren mal hüftlang«, sagte sie und zupfte an einer Strähne ihres Haars, das zu einer widerspenstigen Igelfrisur nachgewachsen war.
»Muss umwerfend ausgesehen haben«, begeisterte sich Gordian. Die Komplimente bewirkten, dass Alenkas Finger flüchtig über die rot leuchtenden Narben strichen, die Arslan Hanssens Krallenhalsband hinterlassen hatte. Die Ärzte behaupteten, die
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