Horror Factory - Die Herrin der Schmerzen
für seine Arbeit einen ganz besonderen Wunsch: Er wollte einen Gipsabdruck seines Gesichts nehmen, bevor der Junge wieder beerdigt wurde. Was seine Eltern aber nicht wussten, war, dass van der Meek mit der Maske die Haut des Kindes abzog.«
Evi zog den Vorhang beiseite. Das matte Licht im Raum reichte aus, um die Gesichtshaut Peadar McLachlons anzudeuten, wie sie hinter Glas hing, einem Fetzen gleich, den man mit einigen Nägeln aufgespießt und gespreizt hatte.
*
Marco benötigte einige Sekunden, bis er sich von seinem Schock erholte. Die Lippen und Augen des Kindes waren mit Kreuzstichen vernäht, einige Haare hingen bis über die Wangen dessen, was einmal das Gesicht eines Kindes gewesen war.
Marco würgte. Seine Gedanken rasten. Er musste raus hier, so rasch wie möglich! Er eilte zum Bett, schlüpfte in die Unterwäsche, nahm den Rest seiner Kleider an sich und ging an Evi vorbei, ohne sie auch nur eines Blicks zu würdigen. »Ich muss gehen«, sagte er knapp.
»Schon? Ich dachte, wir wollten die Nacht gemeinsam verbringen? Ich habe einige Überraschungen für dich vorbereitet.«
»Danke, ich verzichte.« Er war an eine Verrückte geraten, keine Frage. Evi hatte gewiss ihre Qualitäten. Aber mit derart seltsamen Fetischen und ihren Stimmungen konnte er nun mal nichts anfangen.
Sie drückte einen Schalter. Das Licht ging an. Es stammte von den Lampen mehrerer Kristalllüster. Es war warm und nahm dem Raum einen Großteil seines Schreckens. »Sieh dir die Bilder nochmals an«, sagte Evi eindringlich, während sie sich ebenfalls anzog. »Sie sind Kunstwerke, im Kopf eines Genies entstanden. Van der Meeks Werke zeigen nur dann ihren gespenstischen Charakter, wenn man in die passende Stimmung versetzt wird.«
»Mag ja sein, Evi. Aber ich steh nicht drauf, in einem Raum zu schlafen, an dessen Wänden Gesichtshäute von Kindern hängen.«
»Peadar McLachlons Gesichtsabzug war ein einzelnes, ein einzigartiges Experiment van der Meeks. Ich schaffe den Schaukasten gerne beiseite, wenn er dich störst.«
»Und was befindet sich hinter all den anderen Vorhängen?« Marco zählte sieben weitere Tuchbahnen zwischen den Ölgemälden zu seiner Rechten. »Eine Sammlung von Jungfernhäutchen oder von Vorhäuten? Ausgerissene Fingernägel, Skalps, Teppiche aus Haaren?«
»Nichts von alledem.« Evi war nun wieder ganz ruhig. Sie sah ihn ängstlich an, so, als hätte das Licht auch ihre dunkle Seite zum Verschwinden gebracht. »Schau her.«
Sie zog einen Vorhang nach dem anderen beiseite und schob sie sorgfältig über die Porträts. Zum Vorschein kamen – Poster. Solche, die Marco aus ihrer gemeinsamen Jugend kannte, die in Teenie-Zeitschriften veröffentlicht worden waren.
»Ein Starschnitt in Lebensgröße von den Bay City Rollers«, sagte er fassungslos. »Das Zeugs ist mindestens dreißig Jahre alt.«
»Ich habe es damals selbst zusammengeklebt.« Evi stellte sich neben ihn. »Ich habe diese Jungs angehimmelt. Les, Eric, Derek und Woody. In Les war ich bis über beide Ohren verknallt.«
»Wir haben uns damals über dich lustig gemacht, nicht wahr? Blink, Funke, Peter, Bertl und ich.« Die Erinnerung war mit einem Mal wieder da.
»Ja.« Sie lehnte sich an ihn. Evis Stimme klang brüchig, ihr Körper zitterte.
Sie gingen die Reihe der Ausstellungsstücke gemeinsam ab. Evi hielt den Kopf eng an ihn gedrückt, als schämte sie sich dafür, all diese stummen Zeugen ihrer Jugendfreuden, die sie mit niemandem hatte teilen können, nun gemeinsam mit ihm zu betrachten.
Da waren Plakate weiterer Teenie-Gruppen. Texte, die von einem Sexualratgeber stammten. Mühsam zusammengeklebte Schnipsel eines Gedichts in Evis großer und unbeholfen wirkender Handschrift. Gepresste und getrocknete Wiesenblumen, eine Serviette mit einer unleserlich gewordenen Unterschrift darauf, mehrere Autogramme heute nicht mehr bekannter Pop-Sternchen, der lobende Brief eines Lehrers, eingerahmt und mit Stempeln in Herzform ausgeschmückt, eine bunte Collage aus Spickzetteln, die Evi verwendet hatte.
»Das alles sind Teile meiner Teenagerzeit«, sagte sie leise. »Zumindest jene Teile, die ich in halbwegs guter Erinnerung behalten habe.«
»Ich wollte, ich hätte derartige Sachen auch aufgehoben.« Marco versuchte sich zu erinnern, was mit seinen Schulsachen geschehen war. Lagerten sie in irgendwelchen Kisten bei seiner Mutter, oder hatte er das Zeug entsorgt? – Er wusste es nicht.
Er wandte sich Evi zu und streifte eine Haarsträhne aus
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