Hotel der Sehnsucht
herum und konnte gerade noch eine Frau mit einem Arbeitskittel erkennen, bevor sie durch die Tür hinter der Rezeption verschwand.
„Wer war das?" fragte Samantha irritiert.
„Eine Putzfrau", teilte er ihr kurz angebunden mit, um sich augenblicklich wieder Samantha zuzuwenden. Die Unterbrechung kam mehr als ungelegen, doch er musste
einsehen, dass es nicht den geringsten Zweck hatte, das Gespräch wieder aufzunehmen.
„Was bedeutet, dass in wenigen Minuten die ganze Putzkolonne hier herumschwirrt. Hast du einen Vorschlag, was wir solange machen?"
Samantha war noch viel zu benommen, um klar denken zu können. „Ich weiß es nicht", wich sie einer Antwort aus. „Hast du keinen Vorschlag?"
Und ob er einen hatte! Denn am liebsten hätte er sie an den Schultern gepackt und so lange durchgeschüttelt, bis sie endlich wieder bei Besinnung war. Vorsichtshalber beließ er es dabei, seiner unverminderten Wut mit Worten Ausdruck zu verleihen. „Was glaubst du eigentlich, warum ich das alles gemacht habe?" fragte er und sah sich im Speisesaal um.
„Weil dich der Vertrag mit meinem Vater dazu verpflichtet", antwortete Samantha kalt.
Andre drohte endgültig der Kragen zu platzen. „Noch ein Wort, und ich küsse dich so lange, bis du endlich wieder bei Verstand bist!"
„Mein Verstand funktioniert tadellos."
Er sah sie mit einem Blick an, der Samantha an ihren Worten zweifeln ließ. „Schön wär's", sagte er traurig und wandte sich ab.
Was Samantha regelrecht panisch werden ließ. Geh nicht! wollte sie ihm nachrufen. Lass mich nicht allein! Ich brauche dich doch! schrie es in ihr. Wie soll ich denn je Gewissheit bekommen, wenn du mir nicht hilfst?
Ebenso unerwartet, wie er sich in Bewegung gesetzt hatte, blieb Andre stehen und drehte sich zu Samantha um. Vor Schreck hielt sie den Atem an. Hatte sie ihn denn wirklich gerufen?
„Kommst du?" fragte Andre', und sein Blick verriet nichts, was Samantha hätte misstrauisch machen müssen.
„Ja", rief sie erleichtert und sprang vom Flügel. Andre hatte ihr längst wieder den Rücken zugedreht und war weitergegangen, ohne auf sie zu warten.
Auf einmal kam sich Samantha wie ein Hund vor, der seinem Herrchen aufs Wort
parierte. Andre hatte längst nicht nur über die Situation, sondern auch über sie selbst die Kontrolle übernommen.
„Wohin gehen wir?" erkundigte sie sich, als sie ihn eingeholt hatte.
Doch sobald sie seine Antwort hörte, war ihr klar, dass der Versuch, wenigstens einen Funken Selbstachtung zu wahren, kläglich gescheitert war. „Zu einem weniger
vorbelasteten Ort, wo wir in Ruhe unsere kleine Unterhaltung zu Ende bringen können", teilte Andre ihr lapidar mit.
Dafür müssten sie dieses Haus schon verlassen, denn einen solchen Ort gab es hier nicht.
So viel war Samantha klar. Umso überraschter war sie, als Andre sie ins ehemalige Büro ihres Vaters führte.
Als er ihren verwunderten Gesichtsausdruck sah, dämmerte Andrej dass er einen Fehler gemacht hatte. Vielleicht war das Bressingham wirklich nicht der richtige Ort. Vielleicht sollte er Geduld haben und Samantha die Zeit geben, die sie brauchte, um sich wirklich zu erholen, bevor er sich an ihr Kernproblem wagte. Und das hatten sie bisher nicht einmal gestreift.
„Verdammt", verfluchte er leise die Zwickmühle, in der er erneut steckte. Denn wie sollte sie sich je erholen, wenn sie nicht die ganze Wahrheit kannte?
Wütend wandte er sich um und öffnete zielsicher den Schrank, in dem der alte Thomas Bressingham seinen Schnapsvorrat aufbewahrt hatte. Eigentlich war es noch zu früh für einen Drink. Doch jetzt brauchte er einen.
„Hier hat sich ja noch weniger verändert als in den anderen Räumen", stellte Samantha erfreut fest.
„Schön, dass es dir auffällt", erwiderte Andre erfreut, denn tatsächlich hatte er die Bauarbeiter strikt angewiesen, im Büro des alten Bressingham nicht mehr zu machen als unbedingt nötig und vor allem an der Einrichtung nicht das Geringste zu ändern.
Dabei hatte er weniger an Samantha als vielmehr an sich selbst gedacht. Denn sogar für einen Mann, der Hotels auf allen fünf Kontinenten besaß, war das Bressingham etwas Besonderes. Und dasselbe galt für dessen ehemaligen Besitzer. Sein Schwiegervater war ein außergewöhnlicher Mann gewesen, und in diesem Raum sollte die Erinnerung an ihn
weiterleben.
Offensichtlich war ihm das gelungen, denn Samantha schien zutiefst gerührt. Was kein Wunder war, denn schließlich begegnete sie in der
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