Hotel der Sehnsucht
sieht genauso aus wie früher", sagte sie endlich, und die Begeisterung war alles andere als gespielt. „Besser gesagt, alles hat sich verändert, aber ... „
Als sie das letzte Mal an dieser Stelle gestanden hatte, hatte sich noch ein ganz anderer Eindruck geboten. Bauschutt, wohin das Auge reichte. Das war kurz nach dem Tod ihres Vaters gewesen, und damals hatte sie den Eindruck, als wäre eine Ära unwiderruflich zu Ende gegangen.
Jetzt hingegen wirkte alles so, als sollte eine neue Ära beginnen. Dabei hatte sich im Grunde wirklich nicht viel verändert. Für die Renovierung waren ausschließlich die alten Materialien verwendet, zuvor allerdings auf Hochglanz gebracht worden. Selbst dort, wo vor einem Jahr noch ein gähnendes Loch klaffte, führte jetzt die altehrwürdige Holztreppe in den Speisesaal im Hochparterre.
Mit einem Gefühl der Ehrfurcht ging Samantha die Stufen hinauf und genoss es, mit einer Hand über das glatt polierte Edelholz des Handlaufs zu streichen. Auf der obersten Stufe angekommen, blieb sie stehen, um sich das Foyer aus dieser Perspektive anzusehen.
In diesem Haus war sie geboren und aufgewachsen, hier hatte sie angefangen zu arbeiten, als sie gerade alt genug gewesen war, um einen Teller gerade zu halten. Später hatte sie hier ihre Ausbildung erhalten. Hier lagen ihre Wurzeln und ihre Bestimmung. Und wie zur Bestätigung prangte über der Eingangstür in Leuchtschrift ihr Mädchenname: Bressingham.
Natürlich war sie nicht so naiv, anzunehmen, dass sich nichts verändert hatte. Allein die Baupläne hatten etliche Kilo gewogen, und im Grunde genommen war so viel erneuert worden, dass das Haus fast ein Neubau war. Doch das betraf vor allem das, was nicht sichtbar war. Niemand konnte das besser beurteilen als Samantha. Sie kannte jeden Winkel, jedes Stück Holz, das hier verbaut war, jede Vase, jeden Tischschmuck und jedes goldgerahmte Bild an den Wänden.
Und zu ihrer Zufriedenheit konnte sie feststellen, dass alles an seinem Platz war.
„Na, wie findest du es?" wagte Andre zu fragen.
Die Frage war ebenso unangebracht wie überflüssig. „Ich hätte nicht zu träumen gewagt, dass es so schön wird", gestand sie voller Bewunderung für das Meisterwerk, das Architekten und Handwerkern gelungen war.
„Warum nicht?" wollte Andre wissen. „Hast du befürchtet, ich könnte dein Verschwinden zum Anlass nehmen, um als Erstes die Pläne zu ändern und aus dem Bressingham ein
typisches Visconte-Hotel zu machen?"
Andres spitze Bemerkung brachte Samantha dazu, ihn zum ersten Mal anzusehen, seit sie das Haus betreten hatten. Ihr Blick fiel auf einen schlanken, großen und überaus attraktiven und makellos gekleideten Mann, der am Eingang stand und sie hämisch angrinste.
„Apropos", erwiderte Samantha die Provokation, „wer hat eigentlich statt meiner die Bauleitung übernommen?"
Andres Grinsen war schlagartig verschwunden. Mit ernstem Gesicht ging Andre auf die Treppe zu, auf der Samantha noch immer stand. „Ich muss gestehen, dass ich zunächst alles hinschmeißen wollte", teilte er ihr mit. „Dann haben mich die Firmen geradezu gedrängt, die Arbeiten wieder aufzunehmen." Er zuckte die Schultern, machte auf einer Stufe Halt und sah sich um. „Das Resultat gibt ihnen Recht", sagte er zufrieden. „Ich freue mich, dass es dir gefällt."
„Sind die anderen Räumen auch so beeindruckend geworden?"
Erneut konnte Andre" der Versuchung nicht widerstehen, einen kleinen Seitenhieb auszuteilen. „Das zu beurteilen, überlasse ich lieber dir."
„Du hast meine Frage nicht beantwortet." Samantha überhörte geflissentlich auch diese Bemerkung, denn Andre war unterdessen neben sie getreten.
„Wie lautete die Frage noch gleich?"
„Wer das Projekt geleitet hat, nachdem ich weg war?"
„Gibt es denn so viele, die dafür infrage kommen?" Um Samantha auf die Folter zu spannen, wich Andre" erneut einer direkten Antwort aus.
Mit einigem Erfolg, denn sie zeigte sich tatsächlich mehr als überrascht. „Soll das heißen
...? Hast du dich wirklich selbst darum gekümmert?" fragte sie ungläubig.
„Traust du mir das etwa nicht zu?" spielte Andre" beleidigt. „Ich bin zwar tatsächlich ein viel beschäftigter Geschäftsmann, aber trotz aller Überlastung kann ich mitunter auch mehr als ein Viertelstündchen Zeit erübrigen. Jedenfalls für Dinge, die mir wichtig sind."
Samantha hatte die Anspielung sehr wohl verstanden. „Über wen willst du dich eigentlich lustig machen, über mich
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