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Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Titel: Hotel Mama vorübergehend geschlossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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gefunden, ganz hinten bei den nicht abgeholten Sachen. Verstaubt? Aber nein, natürlich nicht, man verwende ja Hüllen, diese hier sei allerdings nicht mehr sauber, doch man werde eine neue nehmen. Aber bitte sehr, das sei selbstverständlich. Ja, morgen früh von halb neun bis ein Uhr und dann wieder von halb drei bis halb sieben. Gern geschehen, auf Wiedersehen.
    Als Tinchen sich am Sonnabend zur Endabnahme präsentierte, war sogar Frau Antonie erschienen. »Meinst du nicht, Ernestine, daß dieses … dieses … nun ja, diese Bluse ein wenig zu offenherzig ist?«
    »Diese Bluse ist ein Top, Mutti, und absolut ›in‹. Im übrigen könnte mir schlimmstenfalls der Kellner in den Ausschnitt gucken, aber von einer gewissen Preisklasse an tut er das nicht mehr. Damit meine ich nicht die Preisklasse des Gastes, sondern die des Restaurants!«
    Björn pfiff anerkennend durch die Zähne. »Total hip, Tante Tina, ist 'ne echt heiße Tapete!«
    »Wie meinen?«
    »Na ja, was du da anhast, sieht wirklich toll aus«, übersetzte er in die Tinchen geläufige Sprache, denn mit dem Halbstarkenslang kam sie noch immer nicht klar, obwohl Björn ihn nicht nur perfekt beherrschte, sondern auch häufig anwandte.
    Florian, in dunkelgrauen Zwirn gewandet mit unauffälligem Hemd und ebensolcher Krawatte, fühlte sich irgendwie unbehaglich. Sein »Ich glaube, den Anzug habe ich zum letztenmal bei Tobias' Hochzeit angehabt«, wurde von Tinchen energisch bestritten. »Das kann gar nicht sein, dann würde dir die Hose heute nicht mehr passen.«
    »Tut sie auch nicht – jedenfalls nicht richtig.« Mit dem Zeigefinger demonstrierte er die Enge des Hosenbundes, bevor er seufzend das Jackett zuknöpfte. »Der Ruhestand muß was Herrliches sein«, schwärmte er, »man kann ja nicht ewig den Bauch einziehen.«
    Der Abend wurde ein voller Erfolg. Die beiden Männer verstanden sich auf Anhieb, und Tinchen war angenehm überrascht, daß Frau Evert statt des erwarteten Modellkleides von der Kö eine sportliche Kombination aus dem Versandhauskatalog trug, was sie unumwunden zugab. »Da kann ich mir die Sachen schicken lassen und in Ruhe anprobieren, ohne daß mir eine Verkäuferin dauernd erzählt, wie gut mir dieses gerade erst um den halben Preis herabgesetzte Vorführmodell steht. Dabei weiß ich genau, daß sie nur Standardspruch Nummer 2 abläßt.« Und als sie Tinchens höfliches Nicken bemerkte, fing sie an zu lachen. »Entschuldigung, das können Sie natürlich nicht wissen. Eine Nichte von mir, Studentin, jobbt gelegentlich in der Kleiderabteilung eines Kaufhauses, und als erstes hat man ihr die Verkaufsstrategie eingetrichtert, die ungefähr so lautet: Wenn die Kundin unter 20 ist, behaupte man, das Kleid mache sie älter, ist sie über 20, heißt es, es mache sie jünger, und wenn sie über 50 ist, sage man einfach, es sei sehr preisgünstig.«
    »So eins habe ich im Schrank hängen!« sagte Tinchen sofort, »und dazu noch zwei Pullover der Kategorie ›für jede Größe passend‹. Bei dem einen habe ich das erst gar nicht ausprobieren können, weil ich den Kopf nicht durchgekriegt habe, und der andere ist nach zweimaligem Tragen so breit wie lang gewesen, so daß er nun wirklich jedem paßt.«
    Das Eis war gebrochen, und wenig später hätte jeder Unbeteiligte vermutet, daß dort hinten an dem Ecktisch langjährige Freunde saßen, die sich lange nicht gesehen und deshalb viel zu erzählen hatten. Vor allem über die Kinder. Die Everts wußten kaum etwas über Björns familiären Hintergrund, er hatte nicht mehr herausgelassen, als unbedingt erforderlich gewesen war, um seine Anwesenheit bei seinem Großonkel zu erklären. Tinchen wiederum hatte keine Ahnung gehabt, daß Thorsten noch zwei ältere Brüder hatte, sie wußte nur von einem.
    »Frank ist vor zwei Jahren nach Australien ausgewandert«, erzählte Herr Evert, »nur hat er sich bisher noch nicht entscheiden können, ob er Schafe züchten oder Brücken bauen soll.«
    »Ich würde ihm zu ersterem raten«, meinte Florian nach längerem Überlegen, »dagewesen bin ich zwar noch nie, doch soviel ich weiß, gibt es in Australien kaum Flüsse, die man überbrücken könnte.«
    Herr Evert ruckte. »Man erkennt doch gleich den Praktiker! Auf
diesen
Gedanken bin ich überhaupt noch nicht gekommen!« Er schenkte nach und orderte eine zweite Flasche Chablis. »Wir Anwälte wägen bei der kleinsten Frage immer gleich das Für und Wider ab, ohne vorher zu überlegen, ob das überhaupt nötig

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