Hotel Mama vorübergehend geschlossen
aus rein biologischen Gründen auszuschließen war, mußten diese eigenartigen Gelüste an der fremdartigen Ernährung während Björns erster Lebensjahre liegen, hatte sich Tinchen eingeredet, ein europäischer Magen hätte doch längst gestreikt. In Brunei gibt es wahrscheinlich nur Fische vom Barrakuda an aufwärts, kleinere werden allenfalls als Köder benutzt, die einheimische Köchin hatte bestimmt noch nie etwas von Hefezopf gehört, in Asien ißt man bekanntlich Reis, Schlagsahne kennt man zwar, auf Jamaika hatten sie ja auch welche bekommen, leider!, doch mit Sicherheit keine gebrauchsfertige aus der Dose. Es war ja verständlich, daß Björn sich auf diese ihm weitgehend unbekannten Nahrungsmittel stürzte, aber doch nicht in der Reihenfolge des Alphabets! Hefezopf, Hering …
Außer einem gequetschten Finger, Ergebnis eines Kampfes mit der klemmenden Kellertür, hatte es für ihn noch keinen Grund für einen Arztbesuch gegeben, und selbst da war er lieber zu Pavla gegangen, die mit solch kleineren Blessuren genausogut fertig wurde – ohne stundenlange Wartezeit. Trotzdem sollte man den Jungen zwecks gründlicher Untersuchung mal zu Dr. Pönsgen schicken, hatte Tinchen überlegt, vielleicht fehlten ihm ein paar Vitamine, Hefezopf und Sahne haben bestimmt keine, oder Björn hatte einen Bandwurm, die sollen ja ziemlich gefräßig sein. Sie selbst könnte auch einen gebrauchen, nicht lange, nur für zwei Wochen oder so, die hellblaue Hose ging immer noch nur dann zu, wenn sie die Luft anhielt, bis der Reißverschluß oben war.
Thorstens Freundschaft mit Björn – sein Vater bevorzugte die andere Variante, er fand nämlich,
Björns
Freundschaft mit
Thorsten
wirke sich auf seinen Sohn äußerst vorteilhaft aus – hatte zur Folge, daß er ab sofort an den Nachhilfestunden teilnehmen durfte, zu denen Herr Evert seinen Jüngsten seit den »völlig indiskutablen Zeugnisnoten« vergattert hatte. »Zu zweit macht der Unterricht auch nicht mehr Spaß, aber vielleicht spornen sich die Jungs gegenseitig ein bißchen an«, hatte er gehofft und eine Beteiligung an den Kosten abgelehnt. Sein Kanzleischild wies übrigens die zwei hierzulande unerläßlichen Buchstaben Dr. vor seinem Namen auf, aber die würden sich lediglich in den Rechnungen für seine Klienten niederschlagen, hatte er Björn bei der ersten Begegnung erklärt und sich »diese alberne Titelei« verbeten.
»Sage mir, was für Noten du hast, und ich sage dir, wer neben dir sitzt!« hatte Björn den jungen Referendar begrüßt, einen ebenso langen wie dünnen Mann mit Stirnglatze und Karl-Lagerfeld-Zäpfchen, »leider war der Platz neben dem Klassenprimus schon besetzt.«
Sein künftiger Mentor hatte nur schweigend das mitgebrachte Heft durchgeblättert, wieder zugeklappt und zurückgegeben. »Lieber 'ne Fünf in Mathe als gar keine persönliche Note, nicht wahr?«
Sekundenlang hatte Björn dumm geguckt, darin jedoch anerkennend genickt. »Danke, das hatte ich verdient!«
Damit waren die Fronten abgesteckt und Björn fand sich ohne Protest dienstags und freitags im Hause Evert ein, um sowohl in den bellum gallicum als auch in jene Lehrsätze eingeführt zu werden, die über den des Herrn Pythagoras hinausgingen. In der nächsten Mathearbeit gab es dann tatsächlich schon eine Vier plus, womit er eine Viertelnote besser war als Thorsten.
Darüber hinaus zeitigten die Nachhilfestunden einen Erfolg, mit dem Tinchen schon gar nicht mehr gerechnet hatte: Björns unstillbarer Appetit reduzierte sich plötzlich auf ein normales Maß, ja, zeitweilig lehnte er sogar die Teilnahme am gemeinsamen Abendessen ab. Jetzt schlug ihre Besorgnis um. Der Junge würde doch wohl kein kräftezehrendes Leiden haben? Man sollte ihn schleunigst zum Arzt schicken!
Die Wahrheit kam erst heraus, als sich das Ehepaar Evert und das Ehepaar Bender an einem neutralen Ort trafen, um nun endlich das persönliche Kennenlernen nachzuholen. Herr Evert hatte zum Abendessen geladen und ausgerechnet jenes Restaurant in Kaiserswerth vorgeschlagen, in das Tinchen schon immer mal gewollt und sich nicht getraut hatte, weil es verflixt teuer war. Ob denn der Sonnabend recht sei, hatte Herr Evert gefragt, nach seiner Information sei das doch der ›Journalisten-Sonntag‹, also ein freier Abend für den Gatten.
»Am besten sagen Sie ihm das selbst!« hatte Tinchen empfohlen und den Hörer weitergereicht. Dann hatte sie sämtliche Türen ihres Kleiderschranks geöffnet, die Bügel von links nach
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