Hotel
Zeuge auftreten müssen. Und es gibt kein Gericht in unserem souveränen Staat Louisiana, das der Aussage eines Negers in einem Fall versuchter Notzucht unter Weißen Glauben schenkt. Nein, Sir, und schon gar nicht, wenn vier aufrechte junge weiße Gentlemen behaupten, daß der Nigger lügt. Auch wenn Miss Preyscott die Aussage des Negers bestätigt, würde das Gericht sie ihm nicht abnehmen. Und ich bezweifle stark, ob ihr Daddy ihr das erlauben würde, wenn man bedenkt, welch ein Aufhebens die Zeitungen davon machen würden.«
Peter legte den Hörer wieder auf. »Manchmal scheinen Sie’s förmlich darauf anzulegen, die Dinge unnötig zu komplizieren«, sagte er. Aber er wußte, daß Royce recht hatte. Seine Augen schweiften zu Marsha hinüber. »Sagten Sie ›Miss Preyscott‹?«
Royce nickte. »Ihr Vater ist Mr. Mark Preyscott. Der Preyscott. Stimmt’s, Miss?« Marsha nickte unglücklich.
»Miss Preyscott«, sagte Peter, »kennen Sie die jungen Leute, die für den Zwischenfall verantwortlich sind?«
Die Antwort war ein kaum vernehmbares: »Ja.«
Der junge Neger erklärte: »Sie gehören alle zum Alpha Kappa Epsilon, glaube ich.«
»Ist das wahr, Miss Preyscott?«
Sie nickte bejahend.
»Und sind Sie mit ihnen zusammen hierhergekommen – in diese Suite?«
»Ja«, flüsterte sie.
Peter musterte Marsha forschend. Nach einer Weile sagte er: »Es liegt bei Ihnen, Miss Preyscott, ob Sie Anzeige erstatten wollen oder nicht. Wozu immer Sie sich auch entscheiden, das Hotel wird Sie dabei unterstützen. Aber ich fürchte, Royce hatte mit dem, was er sagte, nicht so unrecht. Die Affäre würde zweifellos ziemlich viel Staub aufwirbeln.« Er fügte hinzu: »Den Ausschlag gibt natürlich Ihr Vater. Finden Sie nicht, daß ich ihn anrufen und herbitten sollte?«
Marsha hob den Kopf und sah Peter zum erstenmal offen an. »Mein Vater ist in Rom. Er darf nichts davon erfahren – niemals! Sagen Sie ihm bitte nichts.«
»Ich bin sicher, daß man privat etwas unternehmen kann. Meiner Meinung nach haben die Schuldigen einen Denkzettel verdient.« Peter ging um das Bett herum und war bestürzt, als er sah, wie kindlich sie noch war und wie wunderschön. »Kann ich irgendwas für Sie tun?«
»Nein … ja, ich weiß nicht.« Sie fing wieder an zu weinen, aber weniger heftig.
Zögernd holte Peter ein Taschentuch hervor und reichte es ihr. Marsha wischte sich die Tränen ab und putzte sich die Nase. »Besser?«
Sie nickte. »Danke.« Sie war eine Beute verschiedenartigster Gefühle: Scham, Demütigung, Zorn. Sie hatte das Verlangen, sich zu rächen, was immer auch die Folgen sein mochten, und sehnte sich danach, von liebevollen, schützenden Armen umschlungen zu werden, ein Wunsch, der sich, wie sie aus Erfahrung wußte, nicht erfüllen würde. Aber stärker als alle Gefühle war ihre körperliche Ermattung.
»Ich glaube, Sie sollten sich ein bißchen ausruhen.« Peter McDermott schlug die Decke des unberührten Bettes zurück, und Marsha schlüpfte darunter. Die Leinentücher waren angenehm kühl.
»Ich möchte nicht hier bleiben«, sagte sie. »Ich halte es hier nicht aus.«
Er nickte verständnisvoll. »Wir bringen Sie bald nach Haus.«
»Nein! Bitte nicht! Könnte ich nicht woanders … hier im Hotel –«
»Tut mir leid.« Er schüttelte den Kopf. »Das Hotel ist voll.«
Aloysius Royce war ins Bad gegangen, um sich die Blutspuren vom Gesicht zu waschen. Nun kam er zurück und blieb in der Verbindungstür stehen. Er stieß einen leisen Pfiff aus, als er das Durcheinander im Salon genauer in Augenschein nahm, die überquellenden Aschenbecher, verschobenen und umgekippten Sessel, verschütteten Flaschen und zerbrochenen Gläser.
Als McDermott zu ihm trat, meinte er: »Die Party hatte es in sich, schätz’ ich.«
»Tjah, scheint so.« Peter machte die Tür zwischen Salon und Schlafzimmer zu.
»Aber es muß doch noch irgendeine Schlafgelegenheit im Hotel geben«, bettelte Marsha. »Ich kann jetzt einfach nicht nach Hause gehen.«
Peter blickte Royce unschlüssig an. »Da wäre noch die Nummer 555.«
Zimmer 555 war ein kleiner Raum, der dem stellvertretenden Direktor zur Verfügung stand. Peter benutzte ihn selten, außer zum Umkleiden. Im Moment war er frei.
»Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte Marsha. »Nur müßte jemand bei mir zu Hause anrufen und Bescheid sagen. Verlangen Sie Anna, unsere Haushälterin.«
»Wenn Sie wollen, hole ich den Schlüssel«, bemerkte Royce.
»Ja, danke. Und bringen Sie
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