Hotzenwaldblues
eine
weitere Oktave höher gestiegen war. Gleich würde sie in ihr crescendoartiges
Kichern ausbrechen.
Hinter dem Paravent räusperte sich der alte Forstweiler und murmelte
etwas vor sich hin. Es klang wie: »Faschiste, alles Faschiste sin das.« Mehr
konnte Iris nicht verstehen, denn seine Stimme wurde wieder leiser.
Linda, die Iris zur Tür begleitete, rollte die Augen. »Alter Nörgler«,
raunte sie.
»Ich han Sie genau ghört!«, krächzte Forstweiler im Idiom eines
hörbar um hochdeutsche Aussprache bemühten Eidgenossen hinter dem Sichtschutz.
Iris stoppte und drehte sich um. Wo blieb Trautmann?
»Ja, nicht war?«, sagte der gerade mit stolzgeschwellter Brust zu
Elena und riss die blauen Augen hinter der dicken Brille auf. »Der erste Fall
für unser gemeinsames Detektivbüro.«
»Ja, aber was heißt hier ›unser gemeinsames Detektivbüro‹?«, erklärte Iris in sarkastischem Ton, bedachte ihn
jedoch gleichzeitig mit einem gewollt treuherzigen Blick. »Wir müssen jetzt
aber wirklich …«
Brav marschierte er in Richtung Tür und grinste. »Sagte ich schon,
dass das Grau Ihrer Augen … oder ist es doch eher Blau? Nein, irgendwie
Türkis bei diesem Lichteinfall. Ähäm.« Trautmann nahm die Brille ab und begann,
sie umständlich zu putzen. »Ich habe da übrigens Räume im Auge. Anschauen
könnten wir sie uns ja mal. Linda hat mich darauf aufmerksam gemacht. Die Firma
May will den Komplex loswerden. Sie werden mit dem Preis runtergehen. Ich
könnte unten sitzen und Sie mit ihrer Galerie im ersten Stock. Der Blick auf
den Rhein ist von dort oben traumhaft.«
»Damit Sie unten die Leute erschrecken, wenn sie reinkommen? Da
macht ja jeder auf dem Absatz kehrt.«
Er runzelte die Stirn. Hatte sie ihn tatsächlich verunsichert? »Das
meinen Sie nicht ernst, oder?«
Iris ließ ihn einfach stehen und marschierte nach draußen.
»Was ist denn nun mit unserem ›Fall‹?«, blaffte sie Trautmann an,
als er auf dem Bürgersteig zu ihr aufschloss. »Und erzählen Sie mir nicht, es
gibt tatsächlich etwas Neues, und Sie haben einen ersten Kunden.«
»Natürlich nicht, es gibt gar keinen Fall«, räumte er ein, schien
jedoch nicht den kleinsten Anflug eines schlechten Gewissens zu verspüren. »Ich
wollte Sie nur einige Minuten ungestört für mich haben. Schließlich müssen wir
ein gemeinsames Projekt auf die Beine stellen. Gehen wir doch einen Kaffee
trinken. Sie sollten mir eigentlich danken, dass ich Sie von diesen beiden
Schrapnellen befreit habe.«
Da hatte er recht. Aber das würde sie nicht zugeben. Außerdem waren
diese beiden Schrapnellen möglicherweise eine Spur zu jemandem, den sie nicht
kannte, und der gedroht hatte, Leute umzubringen, deren Namen sie ebenfalls
nicht kannte. Seit die Amerikaner Osama bin Laden hingerichtet und gleich
darauf im Meer versenkt hatten, spielten wieder alle verrückt. Die Behörden
sahen unter jedem Stein einen Terroristen hervorkriechen, durch die Panikmache
fühlte sich tatsächlich bald jeder durchgeknallte Aktivist dazu berufen, die
Welt mit Gewalt zu retten. Aber nicht hier . Das würde
sie verhindern. Die Menschen in dieser Gegend waren zwar manchmal sehr –
na ja – kantig, die oben auf dem Wald sowieso. Aber im Wesentlichen neigte
weder der gemeine Bewohner des Rheintales noch der typische Hotzenwälder zu
überschäumendem Temperament. Von Prügeleien in besoffenem Zustand bei
Vereinsfesten oder Fußballgrümpelturnieren mal abgesehen. Wenn es schwerer
Verletzte gab, konnte man schon fast Gift darauf nehmen, dass ein Zugezogener
mitgemischt hatte.
»Einen Kaffee hätten wir auch bei Linda haben können«, muffelte sie.
Trautmann sollte nur ja nicht glauben, dass er mit seinen Ausreden einfach so
davonkam. Und er durfte nicht merken, dass sie etwas Dringendes vorhatte. Nach
dem Abend im »Rebstock« war klar, dass er nach wie vor ihre Nähe suchte und
sich deshalb so an die Idee mit der gemeinsamen Galerie klammerte. Aber das
konnte sie nicht zulassen. Schon allein, um ihren Seelenfrieden zu wahren,
musste sie ihm aus dem Weg gehen. Sie verdrängte die Schmetterlinge im Bauch
und dieses Kribbeln in der Herzgegend schnell wieder an den Ort ganz tief in
ihrem Inneren, an dem sie ihre tiefe Sehnsucht nach Nähe unter Verschluss
hielt. Nach seiner Nähe. Doch der Pfropfen hielt nicht, der Geist kam immer
wieder aus der Flasche.
Iris rettete sich vor den ungewollten Gefühlen, denen sie bisher
erfolgreich einen Namen verweigert hatte, in ihr altes
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