Hotzenwaldblues
er in Rente. Und sie sah sich erneut ihrem
ehemaligen Widersacher gegenüber, der offenbar nichts anders zu tun hatte, als
sie unter immer neuen Vorwänden zu drangsalieren. Anfangs angeblich nur, weil
sie unsportlich und nicht gut in Form war. Denn an ihren Ermittlungsergebnissen
gab es nichts herumzumäkeln. Trotzdem hatte er ihr gleich nach seinem Wechsel
nach Lörrach nahegelegt, sich versetzen zu lassen, hatte irgendwas von
gestörtem Vertrauensverhältnis gemurmelt. Dabei ging es nur um eins: Er mochte
es nicht, wenn ihm jemand widersprach, schon gar nicht jemand, der bessere
Ermittlungsergebnisse vorzuweisen hatte als er selbst. Gut, sie war hin und
wieder etwas … sperrig. Aber ein guter Chef, eine Führungspersönlichkeit,
die diesen Namen auch verdiente, musste doch mit so etwas umgehen können. Mit
dem großen M. hatte es solche Schwierigkeiten jedenfalls nicht gegeben.
Eine Weile hatten sie sich mit schöner Regelmäßigkeit angegiftet,
mehr war nicht passiert. Iris hatte aber immer gewusst, dass Bleich die
nächstbeste Gelegenheit ergreifen würde, um sie loszuwerden.
Und die war bald gekommen. Das Landeskriminalamt brauchte dringend V-Leute,
die sich ins Lager der Aktivisten einschleusen ließen, die zu Tausenden gegen
den geplanten unterirdischen Bahnhof Stuttgart 21 auf die Straße gingen.
Und prompt hatte Bleich den Stuttgartern seine »hervorragende« Mitarbeiterin
Iris Terheyde angedient. Gegen diesen Einsatz hatte sie sich noch erfolgreich
wehren können.
Doch das Erdbeben samt Tsunami in Japan und das daraus resultierende
Reaktorunglück in Fukushima sowie der Sieg der Grünen bei den Wahlen in
Baden-Württemberg vor etwa zwei Monaten hatten alles verändert. Diesem alten CDU -Sack Bleich ging der Arsch auf Grundeis. Wie vielen
anderen auch. Baden-Württembergs Exregierungspräsident Stefan Mappus von der CDU hatten sie einschätzen können. Einen grünen
Regierungschef Kretschmann nicht. Und diesen jungen Sozi Nils Schmid auch
nicht. Deshalb waren alle CDU ler nervös.
Besonders die in den Führungsebenen, in den Ministerien und auch bei den
Justizbehörden. Plötzlich war eine andere Denke angesagt, auch bei den
Ermittlungen und den daraus resultierenden Eingriffen in die In- timsphäre von
Menschen. Denn hier gab es Ermessensspielräume. Und in welche Richtung durften
die nun ausgelegt werden – hartes Vorgehen, eher Zurückhaltung? Da
existierte doch dieser neue Trojaner, der sich leicht in anderer Menschen PC einschleusen ließ und der Möglichkeiten in sich
barg, die – zumindest Iris’ Meinung nach – nicht ganz legal waren.
Der Trojaner kam von ganz oben. In anderen Bundesländern wurde er
bereits eingesetzt. Bundesländer, in denen es keine so dramatischen Umwälzungen
auf Regierungsebene gegeben hatte. Denn genau in dieser für Baden-Württemberg
so kritischen Zeit hatten die Amis Osama bin Laden erwischt. Zur offen zur
Schau getragenen Genugtuung über diesen Triumph des Guten über das Böse
gesellte sich die Angst vor Racheakten. Immer mehr Stimmen forderten ein
weiteres Drehen an der Sicherheitsschraube.
Und das wiederum bedeutete für Leute wie sie, die nicht ins Schema F
passten und sich auch ungern etwas befehlen ließen, zusammen mit diesem
anonymen Drohbrief eine ausgesprochen ungünstige Gemengelage.
Das Schreiben, unterzeichnet mit »Der
Wächter«, war am letzten Dienstag beim Landeskriminalamt
eingetrudelt. Es hatte hektische Aktivitäten ausgelöst. Natürlich hatten sie
sofort eine Sonderermittlungstruppe zusammengestellt. Dafür waren Beamte aus
allen Polizeidirektionen am Hochrhein und aus der benachbarten Schweiz
zusammengezogen worden. Das Bundeskriminalamt hatte sich ebenso eingeschaltet
wie der Verfassungsschutz. Und alle gackerten durcheinander, scharrten und
verbreiteten Hysterie. Weil niemand so recht wusste, wo anfangen mit der Suche
nach diesem Durchgeknallten, der Leute umbringen wollte. Entscheider, Macher,
Vorreiter, wichtige Leute wie Oettinger, den EU -
Energiekommissar. Natürlich musste das alles streng geheim bleiben, um bei der
Bevölkerung keine Panik auszulösen. Und natürlich durfte niemand erfahren, dass
sie im Grunde einfach nicht wussten, was sie dagegen tun konnten. Was hätte
denn das nach außen für einen Eindruck gemacht? Gerade jetzt, in dieser
politisch so unsicheren Zeit. So sahen es jedenfalls die alten Seilschaften.
»Dann hörte ich, wie eine laute Stimme aus dem Tempel
den sieben Engeln zurief: Geht und gießt die
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