Hotzenwaldblues
Misstrauen. Er log
jedenfalls ohne jede Schwierigkeit und ohne eine Spur schlechten Gewissens. Das
hatte er ja soeben wieder unter Beweis gestellt.
Oder ahnte er etwas? Sie schuldete ihm irgendwann eine gute
Erklärung für ihre Eile. Später. Wenn alles vorbei war, würde sie ihm
vielleicht die ganze Geschichte erzählen. Wenn sie ihren Auftrag gut erledigte,
würden am Ende alle dumm dastehen, die versucht hatten, sie auf diese Weise
aufs Abstellgleis zu schieben. Sie ließ sich nämlich nicht so einfach
abschieben. Außerdem: Am Ende eines Nebengleises stand immer ein Rammbock.
Manchmal auch eine Rangieranlage. Um die Loks umzudrehen.
»Ich kann jetzt nicht«, beschied sie ihn. »Ich habe etwas anderes
vor.«
Er schaute enttäuscht. »Ach, und ich dachte, wir sehen uns mal die
Räume an. May ist doch gleich da vorn, wir kommen dran vorbei. Nur, um zu
sehen, ob sie für uns überhaupt in Frage kommen.«
Er sagte dieses »uns« so merkwürdig … liebevoll. Nein!
»Die sind viel zu groß und zu teuer. So viele Ersparnisse habe ich
nicht. Außerdem reichen auch kleinere Räume für eine Galerie. Ich brauche kein Internetcafé.«
Er sah so bedröppelt aus, dass er ihr schon fast wieder leidtat.
»Und ich kann wirklich nicht. Ich gehe … stemmen. Die Turnhalle
in Rhina ist bestimmt schon offen.« Um Himmels willen, sie musste endlich
lernen, sich bessere Ausreden auszudenken. Dauernd brachte sie sich in Teufels
Küche. Jetzt brauchte sie für ihre Ausrede eine Ausrede.
»Sie tun was ?«
»Ich gehe stemmen. Ich habe mich bei den Laufenburger Gewichthebern
zum Schnuppertraining angemeldet. Oder meinen Sie, ich sollte mich vielleicht
doch besser im Reißen üben?« Sie sah bedeutungsvoll an sich herunter. »Obwohl,
stemmen und stämmig, das passt doch, oder?« Sie wandte sich ab. So, nun aber
los. Jetzt war nicht die Zeit für Small Talk.
»Aber bei den Laufenburger Gewichthebern gibt es gar keine Frauen«,
rief er ihr hinterher.
Sie drehte sich noch einmal um. »Jetzt schon.«
»Und sie trainieren mittwochs in der Rappensteinhalle.«
Mist. Ertappt.
Eine Erwiderung blieb ihr erspart, denn Tanja Gerber stürzte aus dem
Buchladen, direkt auf Max Trautmann zu.
»Herr Trautmann, es ist furchtbar! Mein Mann hat gerade angerufen.
Mein Vater ist verschwunden.«
Iris blieb stehen und drehte sich erneut um. »Schon wieder?« Es
klang nicht gerade mitfühlend. Tanjas Vater, der alte Franz Örtler, schien
Ausflüge zu lieben. Allerdings verlief er sich ständig, wusste nicht mehr, wo
er sich befand. Er war dement, wie es so schön auf Neudeutsch hieß.
Tanja Gerber warf ihr einen giftigen Blick zu. »Bitte, können Sie
ihn finden?«, beschwor sie Trautmann mit dem flehenden Blick eines kleinen
Mädchens und packte ihn am Arm. »Sie sind doch Detektiv.«
Der machte seinen Arm frei, rückte seine Brille zurecht und nickte.
»Lassen sie uns am besten in mein vorübergehendes Büro nebenan im
Hotel-Restaurant »Alte Post« gehen. Da habe ich mich am Stammtisch eingenistet,
bis wir uns richtig eingerichtet haben.« Er warf Iris einen Blick zu, den sie
nicht deuten konnte, nahm die erste Kundin seiner neuen Detektei behutsam, ja
fast zärtlich am Ellbogen und marschierte mit ihr in Richtung »Alte Post«.
Nein, eigentlich war Tanja Gerber die zweite Klientin. Die erste war wohl sie
selbst gewesen. Auch wenn sie das wurmte, Trautmann hatte ihr damals im Kosovo
wirklich das Leben gerettet. Dafür hatte der Fall auf andere Weise zu ihrem
Untergang beigetragen. Ihr eigenmächtiges Handeln hatte sie – zwar mit
einer Verzögerung, aber schließlich doch – irgendwie in die Lage gebracht,
in der sie sich jetzt befand.
Johannes Forstweiler räusperte sich vernehmlich, nahm den
Zahnstocher aus dem Mund, griff in seine Jackentasche, förderte ein
Plastikdöschen zutage und steckte ihn hinein. Sodann machte er sich daran, die
Zeitung zusammenzufalten. Erst den Mantelteil, dann den Kulturteil, dann den
Lokalteil, dann die Wochenendbeilage. Und schließlich die Werbung. Die
Volksbank lud zur Eröffnung ihres Neubaus im Laufenpark ein. Kik bot
Babystrampler zum Minipreis an, der Neukauf Lebensmittel und allerlei Krimskrams.
Mariniertes Putensteak war besonders günstig.
Anschließend erhob er sich ächzend, rückte seine Schirmkappe gerade,
legte den »Südkurier« und die »Badische Zeitung« umständlich auf ihren Platz in
der rechten äußeren Ecke des linken Tisches, und zwar so, dass bei beiden die
Schlagzeilen noch
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