House of God
leichtgewichtiger, müder Fleck am Ende der weiten, unsichtbaren, interstellaren Finsternis. Beim Verlassen der Notaufnahme mußte ich Abes Beleidigungen ertragen, die er wie Scheiße auf mein Haupt häufte. Mißtrauisch und böse, stellte ich fest, daß die Welt zu erschöpft war, um meine Bitterkeit fortwischen zu können. Ein Schaukelpferd verrottete im Schnee. Nach allem, was ich wußte, mußten jetzt die ersten Krebszellen in meiner Blase aufkeimen. Mein eigener Krebs, verloren an einer nebligen Winterküste, vergrub sich im leblosen Schutt und suchte in zeitlosem Vertrauen auf meine endgültige Ebbe nach Nahrung.
»Steh auf, Roy«, sagte jemand scharf und rüttelte mich.
»Roy-oy …«
Es war Berry. Um mich herum standen gutgekleidete Menschen und Berry sagte:
»Komm schon, Roy. Es ist das
Halleluja,
steh auf.«
Ich stand auf. Ich war in der Symphony Hall. Ich hörte jene vorletzte Granate, den
Messias,
gesungen von den dünnen und abgehackten Stimmen der Mitglieder der Händel-Gesellschaft. Wieder eine Matinee. Wie bei fast allen Aktivitäten außerhalb des
House of God
war ich beim
Messias
sofort eingeschlafen.
Gott der Allmächtige Herr und König! Halleluja!
Singt es ruhig, Jungs. Ihr könnt ja nicht wissen, daß er in der Notaufnahme des
House of God
offensichtlich nicht viel zu sagen hat.
Und er wird herrschen auf Immer und Ewig. Auf Immer! Und Ewig! Halleluja! Halleluja!
Keine schlechte Granate, dieser
Messias,
wirklich. Ich sah mich im Publikum um, das sich von der gigantischen Doppelorgel auf der Bühne bis nach hinten in Reihen knarrender Bänke drängte. Viele Gomers, vor allem in den vorderen Reihen, Büschel von Grau, hyperämisches Fleisch über fahlen Wangen.
Gomer sterben nicht! Halleluja! Halleluja! Auf ewig! Sie leben auf ewig!
Der Preis für die Plätze hatte die reichen Gomers nach vorn gebracht und die Jungen nach hinten. Berry und ich waren auf dem halben Wege, reiche Gomers zu werden.
»Roy, setz dich. Jetzt sitzt man wieder, siehst du?«
Eine scharfzähnige Frau kam mit einem menstruellen
Ich weiß, daß mein Erlöser lebt
heraus, und Berry und ich gingen. In dem matschigen Schnee bekamen wir nasse Füße und ich sagte:«
Ich fühle mich krank. Ich bekomme diese Schwere nicht aus meiner Brust, und ich weiß nicht, was ich machen soll.«
»Hört sich nach Erkältung an«, sagte Berry.
»Jaah, aber was soll ich tun? Ich huste nicht einmal.«
»Das ist dein Problem. Du hustest nicht. Du brauchst etwas, das löst. Ein Hustenmittel.«
»Meinst du? Daran hab ich noch gar nicht gedacht. Was soll ich nehmen?«
»Roy, was soll das? Du bist der Arzt, nicht ich.«
»Du hast recht. Daran habe ich gar nicht gedacht.«
»Dissoziation. Du dissoziierst dich von allem. Du mußt wirklich deprimiert sein.«
»Hab ich das nicht gesagt? Die Polizisten sagen, ich sei paranoid geworden. Sie haben das schon früher bei
Interns
beobachtet. Das kommt von der Arbeit in der Notaufnahme«
»Ich dachte, du magst die Notaufnahme.«
»Das war einmal. Es hat am Anfang Spaß gemacht. Es waren nicht nur immer Gomers. Da gab es Menschen, denen ich das Leben gerettet habe, wirklich gerettet.«
»Und dann?«
»Ich bin jetzt in der Lage, mit den schweren Fällen fertig zu werden, und alles andere besteht nur aus einer beleidigenden Person nach der anderen. Es ist zum Kotzen. Süchtige, die dich um Drogen anhauen, Betrunkene, Arme, Tripper, Einsamkeit. Ich hasse sie alle. Ich traue keinem. Das kommt, weil man ständig angekotzt wird, angespuckt, angeschrien und angeschissen. Alle wollen, daß ich was für sie tue, für ihre eingebildeten Krankheiten. Inzwischen versuche ich zuerst herauszufinden, wie sie mich anschmieren wollen. Das ist Paranoia, verstehst du?«
»Paranoia ist OK «, sagte Berry, »eine primitivere Art von Verteidigung. Wenn du glaubst, jemand beobachtet dich, denkst du, du bist nicht allein. Das hält dir die Verzweiflung über die Einsamkeit vom Leib. Und die Wut. Du bist so deprimiert, Roy, du bist in letzter Zeit so kaputt, es ist schrecklich mitanzusehen. Du hast dich verändert.«
Da kamen mir die Tränen. Die Kluft zwischen der Menschlichkeit dieser klugen, liebenden Frau und der Unmenschlichkeit der Gomer und Schinder wurde zu groß. Ergriffen ließ ich den Kopf hängen, und dann brach es aus mir heraus, daß ich ihr etwas sagen müßte. Daß ich mit einer Schwester herumbumste. Ich wartete auf die Explosion.
»Meinst du, ich wüßte das nicht?« fragte Berry.
»Du wußtest
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