House of God
verformte, verkrebste Zellen aus, die Saul in ein grauenhaftes Delirium trieben. Er blutete, war anämisch, hatte Schmerzen, und da die verkrebsten weißen Blutkörperchen die übermäßige Vermehrung seiner normalen Hautflora nicht mehr verhindern konnten, war sein Körper mit madigen Staphylokokken-Pusteln bedeckt. Zu schwach, sich zu bewegen, zu wütend, um zu weinen, das Zahnfleisch geschwollen und die Zunge blau angelaufen, scheuchte er seine Frau weg, winkte mich zu sich her und flüsterte:
»Das ist es, Dr. Basch, nicht wahr? Das ist das Ende.«
»Wir können noch einmal eine Remission versuchen«, sagte ich, ohne selbst daran zu glauben.
»Reden Sie nicht von Remission. Das ist die Hölle. Hören Sie, ich will, daß Sie mit mir Schluß machen.«
»Was?«
»Schluß machen. Ich bin so gut wie tot, also lassen Sie mich sterben. Ich wollte keine Behandlung, meine Frau hat mich dazu gedrängt. Ich bin bereit. Sie sind mein Arzt, also geben Sie mir was, um Schluß zu machen, OK ?«
»Das kann ich nicht tun, Saul.«
»Quatsch. Denken Sie an Sanders. Ich war dabei, im Nebenbett. Ich hab es mitangesehen. Gelitten? Entsetzlich. Lassen Sie mich nicht so gehen wie ihn. Also? Soll ich was unterschreiben? Ich unterschreibe. Tun Sie es.«
»Ich kann nicht, Saul, Sie wissen das.«
»Dann suchen Sie mir jemanden, der es kann.«
»Ich verspreche Ihnen, Sie werden keine Schmerzen haben. Das ist alles, was ich tun kann.«
»Schmerzen? Und was ist mit den Schmerzen hier drin, in meinem Herzen? Was muß ich tun, Dr. Basch«, sagte er zornig, »betteln? Sie können nicht wollen, daß ich so leide wie Dr. Sanders. Sie haben ihn auch gern gehabt, ich weiß das.«
Ich sah in die blutunterlaufenen Augen, die Entzündung, die über die Augenlider zu den Bindehäuten kroch, die blaß waren, weil sein Körper so wenige rote Blutkörperchen hatte, und ich wollte sagen: Nein, ich will nicht, daß Sie so leiden, Saul, ich möchte, daß Sie leicht sterben.
»Da, sehen Sie? Es ist kinderleicht. Bitte, machen Sie Schluß mit mir.«
Während ich mich wehrte und daran dachte, wie Sanders gelitten hatte und starb, kam mir ein entsetzlicher Gedanke, entsetzlich, weil er einen Augenblick lang nicht entsetzlich zu sein schien, als sähe man ein Baby und dächte daran, ihm einen Nagel durch die Fontanelle zu stechen, der Gedanke ›Ja, Saul, ich werde es tun, ich werde Schluß machen mit dir‹. Ich begann, mich wie der Teufel abzurackern, um ihn zu retten.
Ich ging zur Station zurück und kam zu dem Zimmer, in dem Putzels Frau mit dem Krebs im Endstadium lag. Der Dicke war noch immer dort, sie spielten Karten und plauderten. Gerade als ich vorbeiging, nahm das Spiel eine überraschende Wendung, ein Ruf schäumte hoch, und beide Spieler brachen in Gelächter aus.
Nach dem Kartenflip am nächsten Morgen, als Dickie zum Essen gegangen war und Hooper in die Pathologie, zog Eddie eine alberne Grimasse und erzählte mir, daß Lionel, der Blazer, ihn gebeten hatte, sich einmal »so kleine rote Dinger« auf seinem hübschen Schambein anzusehen, die wie verrückt juckten. Eddie fragte mich, was er tun sollte, und ich antwortete:
»Tun? Du bist Arzt, also tu, was Ärzte tun, untersuche ihn. Gib mir fünf Minuten und untersuch ihn dann hier drin.«
Ich rief die Vermittlung an, sie sollte Dickie, Hooper, Selma, die Schwestern, den Fisch und die Hausverwaltung anpiepsen und sie nach Gomer-City schicken,
stat.
Und dann sah ich Lionel den Flur heraufkommen, sich vorsichtig umsehen und im Dienstzimmer verschwinden. Ich lief zu der Gruppe, die ich zusammengerufen hatte und sagte:
»Hallo, man hat mich angepiepst, ich solle sofort ins Dienstzimmer kommen!«
Und dann eilten wir alle zehn ins Dienstzimmer. Lionel war nur von der Hüfte aufwärts im blauen Blazer, darunter war er nackt und strich sich durch das braune Schamhaar. Motorrad-Eddie saß ihm nachdenklich gegenüber. Als Lionel uns sah, lief er rot an und fing an zu erklären. Dann merkte er, daß er eigentlich gar nichts erklären wollte, hielt inne, wurde noch röter und sagte:
»Es geht um ein medizinisches Problem.«
»Filzläuse«, sagte Eddie, »Lionel hat Filzläuse.«
»Medizinisches Problem?« sagte ich. »Sie wissen, das ist nicht Lionels Schuld, nein. Das System ist schuld, wenn es zuläßt, daß das nichtärztliche Personal kostenlosen ärztlichen Rat einholt. Wie oft passiert dir das hier im Haus, daß dir jemand auf die Schulter klopft und sagt: He, Dok, ich hab da
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