Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
House of God

House of God

Titel: House of God Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Shem
Vom Netzwerk:
ihm seine Stimme wiederzugeben, sein Squashspiel am Samstagnachmittag, sein Huckepack mit seinen Kindern. Ich war überwältigt. Als wenn das Schicksal mit etwas Nachhilfe von einem inkompetenten und faulen Arzt das Leben eines Mannes in einer scharfen Kurve nach unten gebogen hätte. Ich wandte mich ab, wollte nie wieder in diese stummen Augen sehen.
    Er war nicht der einzige. Noch vier Mal erschütterte mich das Grauen eines ruinierten Lebens. Einer neben dem anderen, lagen sie vollkommen unbeweglich da, die Lungen arbeiteten durch Beatmungsgeräte, die Herzen schlugen mit Schrittmachern, die Nieren funktionierten durch Maschinen, die Gehirne arbeiteten kaum, wenn überhaupt. Es war schrecklich. Es roch nach schleichendem Tod: säuerlich-krank, fiebrig, fortgleitend, weit fort, auf einen Horizont zu, den ich kaum erkennen konnte. Ich wollte nichts damit zu tun haben. Diese Verfaulenden wollte ich nicht berühren, nein. Es war einfach zu traurig.
    Nicht für Jo. In jedem Zimmer blätterte sie ihre DIN A 5  Karten durch, ratterte Zahlen herunter und ließ dann die Schwester den Körper aufrichten, so daß sie die Brust abhorchen konnte.
    Pinkus sah zerstreut aus dem Fenster, unfähig nach Hobbys zu fragen oder davon zu erzählen, und ich fühlte mich im Innern tot. Jo fragte mich, ob ich nicht auch abhorchen wollte, und reflexmäßig tat ich es. Der Letzte war ein BMS im zweiten Jahr, der sich während eines pädiatrischen Praktikums bei einem Kind eine Erkältung geholt hatte, die zum Husten wurde, dann zur Grippe, dann zu irgend etwas jenseits von allem, was man kannte und behandeln konnte. Etwas, das seine Lungen, sein Herz, seine Leber und seine Nieren angriff. Er lebte nur noch durch Beatmungsgerät, Schrittmacher und Dialysemaschine. Und obwohl die IIS alle Register zog, lag er im Sterben. Die Stoppeln auf seinen Wangen waren blond. Jo ließ ihn von der Schwester hochheben, setzte ihr Stethoskop auf und ermunterte mich, das gleiche zu tun. Ich sagte, ich würde passen.
    »Was?« fragte Jo überrascht. »Warum?«
    »Ich habe Angst, mir das zu holen, was er sich eingefangen hat«, sagte ich und ging zur Tür.
    »Was? Sie sind Arzt, Sie müssen das tun. Kommen Sie zurück!«
    »Jo, rutschen Sie mir den Buckel runter, OK !«
    Später gingen Pinkus und ich hinunter zum Essen und ließen Jo als Wache auf der Station. Pinkus brachte sich sein Essen immer selbst mit, so hatte er auch im
House
seine Diät im Griff. Er knabberte vorsichtig an seinem Hüttenkäse, Alfalfa und frischen Obst herum und fragte zuerst nach meinen Hobbys, erzählte mir dann, daß er liefe, um fit zu bleiben und daß er zum Angeln ging, um Ruhe zu finden. Dann wollte er wissen, wie ich es mit Herz-Risikofaktoren hielt. Bei einem einzigen Mittagessen lernte ich mehr darüber, wie ich mein Leben zerstörte, meine Koronargefäße verengte und der Atherosklerose zum Opfer fiel, die über Amerika hinwegfegte, als ich in vier Jahren BMS gelernt hatte. Pinkus meinte, bei meiner Familiengeschichte hätte ich die Pflicht, so viel wie möglich für die Gesundheit meines Herzens zu tun, indem ich aufhörte, das zu essen, was ich liebte (Doughnuts, Eiscreme, Kaffee), nicht mehr rauchte, was ich liebte (Zigaretten, Zigarren), nicht mehr tat, was ich liebte (faulenzen) und nicht mehr fühlte, was ich fühlte (Angst).
    »Kaffee auch?« fragte ich. Dieser Risikofaktor war mir nicht bewußt gewesen.
    »Reizt das Herz. Letzte Ausgabe des
Green Journal.
Eine Arbeit, die hier an der BMS von
Intern
Howard Greenspoon verfaßt wurde.«
    Schließlich, nach einer langen Diskussion über das Laufen, die mich darüber belehrte, daß er im Augenblick als Vorbereitung für den Marathonlauf in drei Wochen sechzig Meilen pro Woche lief, lud Pinkus mich in sein Büro ein, um seine Beine zu befühlen. Von der Taille aufwärts war er spindeldürr; von der Taille abwärts war er Mr. Olympia. Seine
quadriceps
und Fersen und Waden waren geschmeidig und muskulös, an stählernen Sehnen befestigt.
    Als ich auf die IIS zurückkam, abgestoßen von der Krankheit, von den Maschinen eingeschüchtert, wäre ich am liebsten geflohen. Jo stellte mich und bestand darauf, daß ich lernte, wie man eine große Nadel in die Radialarterie des Handgelenks einführt, ein brutales, gefährliches und mehr oder weniger unnötiges Verfahren. Danach flüchtete ich in den Personalraum und sagte, ich müsse etwas über die Patienten nachlesen. Ich nahm die Akte des BMS mit der totalen Körperzerstörung

Weitere Kostenlose Bücher