House of God
in denen sie dort war, hatte Jo die Schwestern erstaunt, erschreckt und schließlich gegen sich aufgebracht, nach dem altbekannten Muster, das immer noch häufig vorkommt, wenn Ärztinnen mit Krankenschwestern zusammenarbeiten. Gewöhnlich machte Jo ihre eigene Visite sehr viel früher, vor der offiziellen Visite, an diesem Tag war sie aber nirgends zu sehen.
»Sie war die ganze letzte Nacht hier, obwohl sie eigentlich frei hatte«, sagte eine Schwester. »Sie hat bei Mrs. Pedley gesessen und sich gefragt, wieso die noch am Leben ist. Aber das einzige, was bei Mrs. Pedley wirklich nicht stimmt, ist Jos Behandlung. Sie muß verschlafen haben. Die wird vielleicht sauer sein!«
Jo kam und kochte. Mißtrauisch sah sie mich an, vermutlich dachte sie an die Zeit, als Chuck, der Kleine und ich sie oben auf der Station zur Weißglut gebracht hatten. Aber dann schob sie gleichzeitig ihr Kinn und ihre Hand vor und sagte:
»Hallo, Roy. Willkommen an Bord. Vergessen wir, was oben war. Hier wird es Ihnen gefallen. Das ist Hochfrequenz-Medizin. Sauberes Schiff, das sauberste Schiff im ganzen Haus. Ein neuer Anfang. Nichts für ungut, ja?«
»Nichts für ungut, Jo«, sagte ich.
»Gut. Kardiologie ist mein Fachgebiet. Im Juli fange ich mein
Fellowship
im NIH in Bethesda an. Halten Sie sich an mich, und Sie werden unglaublich viel lernen. Auf dieser Station haben wir alle Herzparameter völlig unter Kontrolle. Das ist Hochdruck, aber wenn wir hart arbeiten, retten wir Leben, und es macht Freude. Gehen wir.«
Gerade als Jo, die Oberschwester und ich den Aktenwagen zum ersten Zimmer rollten, kam Pinkus, der Oberarzt, um seine Lehrvisite abzuhalten. Pinkus war ein langer, dürrer Kardiologe des
House of God.
Er ging auf die Vierzig zu und war von der Universität von Arizona zur BMS und dann ins
House
gekommen. Jeder kannte ihn, denn er war im Privatleben und im Beruf gleichermaßen fanatisch. Pinkus, so sagte man, verließ selten das
House.
Ich selbst hatte ihn Nacht für Nacht durch die Korridore schleichen sehen, um Nachsorgeuntersuchungen bei Herzpatienten zu machen. Zu welcher Uhrzeit auch immer, er war stets geduldig, hilfsbereit, höflich, bereit einen Artikel zu schreiben, einen Schrittmacher zu legen, sich zu unterhalten. Seine Hingabe an seine Arbeit im
House
war so groß, daß man behauptete, seine Frau und seine drei Töchter würden nur merken, daß er zu Hause gewesen war, wenn die Klohbrille hochgeklappt war.
Eine andere Seite seines Fanatismus zeigte sich in seiner Besessenheit, was Herz-Risikofaktoren betraf. Rauchen, Kaffee, Fettleibigkeit, Bluthochdruck, gesättigte Fette, Cholesterol und Bewegungsmangel waren für ihn gleichbedeutend mit dem Tod. Es hieß, er sei früher einmal sehr bequem gewesen, ängstlich, übergewichtig, habe Doughnuts in sich hineingestopft und Kaffee geschlürft. Inzwischen war Pinkus nach großer Anstrengung fast ausgemergelt, hegte eine unüberwindliche Abneigung gegen Cholesterin und hatte sich in den letzten zwei Jahren in eine unglaubliche Form gelaufen. Beim April-Marathon kam er nahe an die Zeit von drei Stunden heran. Irgendwie war es Pinkus gelungen, als letzten Risikofaktor auch noch seinen Persönlichkeits-Typ zu verändern. In einer totalen Kehrtwendung war er aus Typ A (ängstlich) zu Typ B (ruhig) geworden.
Nach einer kurzen Reiberei wegen der durcheinander gebrachten Visitezeiten hatten Pinkus und Jo beschlossen, an diesem Tag alle Visiten zusammenzulegen und sofort zu beginnen. Obwohl es wichtigere Fälle gab, waren Pinkus und Jo besonders an der Frau interessiert, bei der Jo die Nacht verbracht hatte. Mrs. Pedley, eine liebenswerte Fünfundsiebzigjährige, war von Putzel für das Übliche, den Großen Darmangriff, ins
House
überwiesen worden, weil sie nach chinesischem Essen aufstieß und furzte. Das Untersuchungsergebnis war negativ gewesen. Unglücklicherweise aber sah irgendein toller Hecht auf dem EKG , daß Pedley mit ventrikulären Tachykardien herumlief, laut Lehrbuch einer »letalen Arrhythmie«. Von einem nervösen
Intern
auf die IIS abgeschoben, war Pedley Jos fette Beute geworden. Sie hatte einen Blick auf das EKG geworfen und sofort entschieden, daß Pedley im Sterben liegt, die Elektroden des Kardioverters angesetzt und Pedley ohne Betäubung die Haut vom Brustkorb gebrannt. Pedleys Herz, beleidigt, daß es in einen normalen Sinusrhythmus gestoßen worden war, blieb nur einige Minuten dabei und verfiel dann wieder in den Rhythmus des eigenen Trommlers,
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