House of God
»Funktionsraum« trieb, einem von den Zocks gestifteten, mit viel Plüsch ausgestatteten Saal, der ausschließlich zum Streicheln der Gönner des Hauses genutzt wurde.
Ich hatte genug von Jos Vergiftungstheorie und verkündete, ich würde einen anderen Weg einschlagen. Jo fragte welchen, und ich sagte:
»Feuer mit Feuer bekämpfen.«
Ich nahm das Telephon und bat die Vermittlung, den diensthabenden Rabbi anzupiepsen,
stat.
Erschrocken, daß sein Piepser tatsächlich losgegangen war, und dazu noch
stat,
kam keuchend und schnaufend der junge Rabbi Fuchs angerannt. Ich erzählte ihm von der Herrschaft des Todes und davon, daß ich überzeugt sei, dies müsse eine Heimsuchung unseres Herrgotts zum Passafest sein, der uns wohl irrtümlich für Ägypter hielt.
»Ich verstehe nicht«, sagte Rabbi Fuchs.
»Wäre es nicht möglich, daß Gott uns mit diesen Todesfällen bestraft, und daß wir alles uns Mögliche tun sollten, um seine Passa-Gesetze zu befolgen? Die Türpfosten der Station anstreichen, besonderes Passa-Geschirr benutzen, ein Glas Wein für den Propheten Elia hinstellen und so weiter?«
Der schwarzbärtige Intellektuelle Fuchs sah verwirrt drein, blinzelte durch seine dicke Brille auf Ollies immerwährendes Blinken und sagte:
»Haggadah, die Geschichte des Passa-Festes, auf die Sie sich beziehen, ist nicht wörtlich, sie ist homiletisch. Ja, so ist es: Die Exegese der Haggadah hat seit dem elften Jahrhundert unzählige Kommentare hervorgebracht, die meistens homiletisch sind, wenngleich sie auch bisweilen mystischen Charakter haben.«
»Haben Sie das verstanden, Pinkus?« fragte ich.
»Nein.«
»Ich auch nicht. Was meinen Sie damit, Rabbi?«
»Nehmen Sie es nicht wörtlich. Es ist ein Mythos. Gott arbeitet nicht mehr so. Diese Todesfälle haben etwas mit physiologischen Fakten zu tun, nicht mit einer Laune Gottes. Hier stirbt der Körper, nicht die Seele.«
So etwas kommt wohl dabei heraus, wenn man es dem Hause Gottes überläßt, einen Theologiestudenten zum Rabbi aufzubauen.
»Welcher Kirche gehören Sie an, Rabbi Fuchs?«
»Ich? Ich bin Reformist, warum?«
»Habe ich mir gedacht«, sagte ich und nahm den Telephonhörer auf. »Ich danke Ihnen vielmals. Jetzt rufe ich die orthodoxen Jungs, die Hasidim.«
Der orthodoxe Rabbi war ein betagter, weißbärtiger Patriarch aus einer halbverlassenen Synagoge im schwarzen Ghetto. Begeistert von meiner Idee zitierte er kabalistische Schriften über »die Häuser der Kranken während des Exodus« und sprach über die Zeitlosigkeit der Passa-Lehren, wie in der Mishnah: »In jeder Generation soll jedermann sich so sehen, als käme er gerade aus Ägypten.« Unglücklicherweise litt dieser Rabbi an chronischer Herzinsuffizienz, und bevor wir zu den Gesängen und Malereien fortschreiten konnten, wollte er erst einmal ärztlichen Rat, gratis. Das beschäftigte uns bis zum Mittagessen, und der Rabbi mußte nun eine Pause machen und essen. Er holte einen kleinen Napf mit Schraubverschluß hervor und setzte sich zu den Schwestern und mir. Als er ihn aufmachte, wußte ich, was drin war.
»Hering«, sagte er zu den Schwestern, »Stick Hering.«
»Ich dachte, Sie äßen nur salzarme Kost?« fragte ich.
»Ja, richtig. Känne Se es glaube, das ganze Salz für einen Tag is in diese Stick Hering?«
Schließlich besorgte die Hausverwaltung eine Dose blutroter Farbe, und während der Rabbi seinen Hering hochrülpste und sich beim Beten und Singen vor- und zurückwiegte, kleckste ich die rote Farbe herum. Ich wünschte dem Rabbi Glück, gab eine kleine Spende für seine
shul
und betrat wieder die Raumstation. Am Abend, als ich dem Gelaber des Kleinen über sein ökumenisches Gebumse mit Angel zuhörte, bei dem offenbar anläßlich der Feiertage Menstruationsblut in Strömen geflossen war, horchte ich gleichzeitig auf die Flügelschläge des Todesengels, der über meine Station flog.
Eine Nacht lang funktionierte es. Der Hauptschrecken dieser Nacht war Dr. Binsky, ein
Private
mittleren Alters, der einen schweren MI hatte. Ich wußte, daß er wußte, daß er vielleicht daran sterben würde, und obwohl ich mich als Kollege zu ihm hingezogen fühlte, hielt mich meine Angst, zu weit da hineingezogen zu werden, von ihm fern. In dieser Nacht machte Dr. Binsky die meisten der beim Menschen bekannten Herzarrhythmien durch. Glücklicherweise, wunderbarerweise reagierten sie alle auf meine Maßnahmen, und der Morgen sah Dr. Binsky und umgekehrt. Die orthodoxen Jungs hatten es
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