House of God
geschafft.
Am nächsten Tag, dem siebten Tag, war Jo in Ekstase. Kein Toter. Sie strahlte von einem Ohr zum anderen, tätschelte meine Hand und behauptete:
»Bei Gott, wir gewinnen, und wenn wir die Türpfosten anmalen müssen, dann malen wir eben die Türpfosten an, wenn es den Patienten hilft.«
Wir gingen zu Dr. Binsky, und Pinkus, ein alter Freund von ihm, begrüßte ihn:
»Hallo, Morris, wie geht es Morris heute?«
»Ich bin OK , Pinkus. Wie lange hat es gedauert? Vierzig Stunden?«
»Ungefähr.«
»Wie sieht mein Rhythmusstreifen heute aus?«
»Dr. Binsky«, sagte Jo mit bewegter Stimme und legte ihm wie eine ältere Schwester die Hand auf die Schulter, »es ist wieder ein normaler Sinusrhythmus. Endlich wieder
NSR .
«
»Was für eine Erleichterung«, sagte Dr. Binsky. »Welch riesige Erleichterung.«
Zehn Sekunden später hatte er einen Herzstillstand und war, trotz aller unserer Bemühungen, nach einer halben Stunde tot.
Jo brach völlig zusammen. Sie saß mit Pinkus und mir im Personalzimmer, weinte und wiederholte ein über das andere Mal:
»Er konnte doch gar nicht sterben, er war im normalen Sinus. Normaler Sinusrhythmus und jetzt ist er tot? Das gibt statistisch überhaupt keinen Sinn. Ich kann diese Absurdität nicht mehr ertragen.«
»Es gibt Menschen, die im
NSR
sterben«, sagte Pinkus ruhig.
»Das zeigt, daß wir alles getan haben, was wir konnten, nicht wahr, Roy?«
Ich nickte zustimmend. Natürlich hatte Pinkus recht.
»Sehen Sie, Jo«, sagte Pinkus, »er ist in vollkommen normalem Sinusrhythmus abgetreten. Mit Stil. Ja, er ist nach Art des
House of God
gegangen.«
Ich dachte an eine Hausregel: Der Patient ist derjenige, der krank ist. Es war sein Herz, nicht meins. Ich war immun gegen Betroffenheit. In meiner Welt ging es darum, zu laufen, richtig zu essen und ruhig zu bleiben. Ich überließ es Jo, damit klarzukommen und kümmerte mich um die anderen auf der Station. Später, am Nachmittag verabschiedete ich mich, wünschte Jo Glück und dachte auf meinem Vier-Meilen-Lauf nach Hause an Pinkus und an Gott. Ich hatte getan, was ich konnte, und Dr. Binsky war gestorben. Mich deswegen zu sorgen, mich selbst zu quälen, würde nur meinen Streß erhöhen, und ich wußte verdammt genug über den Risikofaktor Streß. Persönlichkeitstyp A, die Herzgranate. Nein danke.
Nach dem Abendessen gingen Berry und ich zu Fuß nach Hause. Sie war überrascht über meine Energie, schließlich hatte ich, seit ich auf der Station war, durchschnittlich nur drei Stunden pro Nacht geschlafen.
»Pinkus sagt, daß Müdigkeit in gewissen Grenzen eine mentale Sache ist, keine physiologische. Jede zweite Nacht ist nicht übel. Irgendwie mag ich das.«
»Du magst es? Ich dachte, du haßt es, nachts im
House
zu sein.«
»Außerhalb der Intensiv, ja. Da drinnen mag ich es. Ja, ich möchte fast sagen, ich liebe es. Wie die Chirurgen sagen: Der einzige Nachteil, wenn du jede zweite Nacht im Dienst bist, ist, daß du nur die Hälfte der Patienten aufnehmen kannst. Das finde ich auch. Vielleicht werde ich Kardiologe.«
Berry blieb stehen, packte mich an den Schultern und zwang mich, sie anzusehen. Sie schien weit weg zu sein, als sie sagte: »Roy, was ist los mit dir? Seit neun Monaten erzählst du mir, wie sehr das
Internship
dein Leben zerstört, deine Kreativität, deine Menschlichkeit, deine Leidenschaft. Was, zum Teufel, geht auf dieser Intensivstation vor?«
»Keine Ahnung. Viele Tote. Jo ist zusammengebrochen. Hat geweint. Hoher Angstpegel. Typ A. Selbst mit Östrogen hat sie schlechte Karten.«
»Jo ist zusammengebrochen? Und wie reagierst du auf die Todesfälle?«
»Die Todesfälle? Wieso?«
»Wieso?« wiederholte Berry in einem Ton, der von ganz unten aus einem Brunnen kam, von weit weg, und der nach Entsetzen und Bedauern klang. »Ich sage dir, mit jedem Toten wirst du unmenschlicher.«
»Mach dir keine Sorgen. Pinkus sagt, Angst ist ein Killer.«
Nachts, als ich mich im Bett zu ihr umdrehte und ihre Schulter berührte, spürte ich ihre Spannung. Sie hielt mich zurück und sagte:
»Roy, ich mache mir große Sorgen. Ich konnte verstehen, daß du dich gegen die Trauer um Potts abschottest, aber das hier ist zu viel. Du bist total isoliert. Du triffst dich mit keinen Freunden mehr, du erwähnst nicht einmal mehr den Dicken oder Chuck oder die Polizisten.«
»Stimmt. Ich glaube, ich habe sie alle hinter mir gelassen.«
»Hör zu, du magst die Intensivstation nicht, das ist Abwehr. Du magst
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