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House of God

House of God

Titel: House of God Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Shem
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um zu weinen, ging er. Ich beobachtete, wie er seinen Arm um seinen kleinen Jungen und sein kleines Mädchen legte. Sie hatten einen seltsam fragenden Blick in den Augen.
    Etwa um Mitternacht ertönte der Reanimationsalarm aus Zimmer 5 , wo eine Frau, alle Viere von sich gestreckt, starb. Als Bestätigung spuckte Ollie eine Null-Linie aus. Ich ging in ihr Zimmer. Ihr Mann saß dort, zufrieden mit der Illusion von Leben, die das Beatmungsgerät aufrechterhielt, indem es die Leiche, die seine Frau gewesen war, in regelmäßigen Abständen voll Luft pumpte. Ich fragte, ob ich sie untersuchen dürfe. Er sah mich an und begann zu weinen. Ich half ihm auf und führte ihn hinaus zu einer Tasse Kaffee. Eine Schwester fragte mich, was sie tun sollte. Ich war auf dem Weg ins Zimmer der jungen Mutter und sagte ihr, sie solle das Beatmungsgerät abschalten.
    »Ich stelle keine Beatmungsgeräte ab«, erwiderte die Schwester.
    Ich war verblüfft. Warum nicht? Die Frau war tot. Ich sah die Schwester schweigend an und versuchte, sie zu verstehen. Dann ging ich in das Zimmer der Leiche: eine Frau, jetzt wächsern weiß, ohne Herzschlag oder Blutfluß, hirntot, den Schädel voller geronnenem Blut, die Lungen von einer Maschine gebläht. Ich suchte zwischen den Kabeln hinter dem Bett nach dem Stecker des Beatmungsgerätes. Ich hielt inne.
Bona fide
tot. Saul der Schneider blitzte mir durch den Kopf. Es war leicht. Ich hatte es getan. Die Zeit stand wieder still.
    Die angenehme Symmetrie jener Nacht hielt auch den nächsten Tag über an. Es war der Tag des Marathonlaufs. Mir ging es außerordentlich gut. Ich dachte außerordentlich freundlich an Pinkus und nahm mir vor, früh mit der Arbeit aufzuhören, um ihn den schlimmsten Hügel, den Humbler, hinauflaufen zu sehen. Bei der Visite lief alles so reibungslos wie die Musikberieselung. Ein einziger Vorfall mit der Hepatitis-Frau machte es mir für eine oder zwei Minuten schwer, mich außerordentlich gut zu fühlen. Nachdem wir den größten Teil der Nacht damit zugebracht hatten, dieses trickreiche hydro-digitale Rettungsmanöver durchzuführen, das für uns das Äquivalent des Mondspazierganges darstellte, wurden die Schwester und ich – sie machte eine Doppelschicht aus Mitleid mit dieser armen »rettbaren« Frau – von dem Ehemann angesprochen. Er war knallrot im Gesicht.
    »Sie beide müssen unglaublich abgebrüht sein, daß Sie meine arme Frau noch immer am Leben erhalten!« sagte er. Die Schwester brach in Tränen aus. Ich schwieg, in völligem Einverständnis mit dem Ehemann. Wir standen neben der sterbenden Frau, die nach Desinfektionsmittel und Infektion und Bilirubin und Ammoniak stank, bis der halbbetäubte Mann seine Verzweifelung losgeworden war und fortging. Einige Minuten lang hatte ich das Gefühl, am Rande einer Katastrophe zu stehen, an einem Abgrund. Ein Gefühl, das einem Alptraum gleichkam. Dann war es vorbei, und ich war wieder ruhig.
    Von Mittag an arbeitete ich unten in meiner Ambulanz. Mit einer gewissen Besorgnis verließ ich meine Station und betrat die hoffnungslos ineffiziente Welt des restlichen Teils des
House of God.
Als ich in mein Untersuchungszimmer ging, begegnete ich Chuck, der gerade in seinem Zimmer verschwand. Er sah noch schlechter aus als sonst.
    »Na, Mann«, sagte er, »schlechte Nachrichten. Sie hahm mich erwischt.«
    »Erwischt? Wobei erwischt?«
    »Ja, du weißt doch, mein Wahnsinnsglück, daß die alten Damen nie in meine Ambulanz gekommen sind, auch wenn sie ’n Termin hatten.«
    »Ja, erstaunlich«, sagte ich.
    »Nun, warum sind sie nie gekommen? Sie waren tot.«
    »Tot?«
    »Äh-häm, tot. Weiß du, ich bin immer rüber ins Archiv, hab mir Akten geholt und Termine mit Namen von Toten gemacht. Sind natürlich nich gekommen.«
    Meine eigene Ambulanz war lächerlich. Ich hatte ein nützliches anatomisches Konzept für praktische Medizin, namens Scruffy’s Rhomben-Fenster. Es bestand darin, ein Hemd oder eine Bluse bis zum vierten Knopf aufzumachen, so daß sich eine rhombenförmige Öffnung für das Stethoskop bildete. Mit geschickten Bewegungen des Handgelenks konnte ich das Stethoskop so drehen und schieben, daß alle wichtigen Organe untersucht werden konnten, ohne daß der Patient sich ausziehen mußte. Mit Hilfe dieser Technik watete ich durch meine altbekannten Patienten mit ihren trivialen Wehwehchen, in meinem Kopf die Präzision und Eleganz der intensivmedizinischen Techniken, das unvergleichliche Gefühl, eine blitzende

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