House of God
sein Hörgerät anzustellen. »Und bevor ich unsere Versammlung schließe, möchte ich noch ein paar Worte über dieses Jahr sagen. Zuerst danke für die phantastische Arbeit. In vielerlei Hinsicht ist es ein großartiges Jahr gewesen, eins der besten. Sie werden es nie vergessen. Ich bin stolz auf jeden einzelnen von Ihnen, und bevor ich schließe, möchte ich nur noch ein paar Worte über einen von Ihnen sagen, der heute nicht bei uns ist, einen Arzt mit außerordentlichen Fähigkeiten, Dr. Wayne Potts.«
Wir erstarrten. Der Leggo würde Ärger kriegen, wenn er jetzt mit Potts anfing.
»Ja, ich bin stolz auf Potts. Abgesehen von einer Schwäche, die zu … seinem Unfall geführt hat, war er ein feiner junger Arzt. Lassen Sie mich Ihnen etwas über ihn erzählen …«
Ich schaltete ab. Statt Zorn empfand ich Mitleid für den Leggo, der so steif und ungeschickt war, so weit entfernt von den Menschen, von uns, seinen Jungs. Er war eine andere Generation, die unserer Väter, die im Restaurant die Rechnung genau prüfen, bevor sie bezahlen.
»… vielleicht ist dieses Jahr etwas schwierig gewesen, aber alles in allem war es ein richtig typisches Jahr. Wir haben einen aus unserer Mitte verloren, aber manchmal passiert so etwas eben, und wir anderen werden ihn nie vergessen. Wir dürfen jedoch darunter unsere Hingabe an die Medizin nicht leiden lassen …«
Der Leggo hatte recht: es war ein ganz normales
Internship-
Jahr gewesen. Und überall im Land war es den
Interns
erlaubt, ihrem Zorn bei irgendwelchen Dringlichkeits-Essen Luft zu machen, anzuklagen, auf den Putz zu hauen – und überhaupt nichts damit zu bewirken. Jahr für Jahr
in eternam:
mach dir Luft und dann triff deine Wahl. Zieh dich zurück in den Zynismus und suche dir eine andere Fachrichtung oder einen anderen Beruf. Oder bleib in der Inneren Medizin, werde eine Jo, ein Fisch, ein Pinkus, ein Putzel und dann ein Leggo, einer immer verdrängender, fader und sadistischer als der andere unter ihm. Berry irrte sich: Verdrängung war nicht schlecht, sie war lebenswichtig. Um in der Inneren Medizin zu bleiben, war sie sogar eine lebensrettende Maßnahme. Hätte einer von uns dieses Jahr im
House of God
durchhalten und einigermaßen intakt ein menschlicher Arzt werden können – so eine Rarität? Was war mit Potts? Dickie hatte es geschafft, ja. Und Potts?
»… und so lassen Sie uns einen Augenblick schweigen im Gedenken an Dr. Wayne Potts.«
Nach ungefähr zwanzig Sekunden explodierte der Kleine von neuem und schrie:
»Verdammt!
Sie
waren es doch, der ihn umgebracht hat!«
»Was?«
»Sie haben Potts umgebracht! Sie haben ihn völlig kirre gemacht mit dem Gelben, und Sie haben ihm nicht geholfen, als er um Hilfe schrie. Wenn ein
Intern
zum Psychiater geht, stigmatisieren Sie ihn doch! Sie halten ihn für verrückt. Potts hatte Angst, es würde seine Karriere kaputtmachen, wenn er zu Dr. Frank geht. Ihr Schweine freßt gute Typen wie Potts auf, nur weil sie zu sanft sind, um sich auf Teufel komm raus durchzuboxen. Ich könnte kotzen! Kotzen!«
»Das können Sie von mir nicht sagen,« sagte der Leggo ehrlich erschüttert. »Ich hätte alles getan, um Potts zu retten, um meinen Jungen zu retten.«
»Sie können uns nicht retten«, sagte ich, »Sie können diesen Zerstörungsprozeß nicht aufhalten. Darum wollen wir ja in die Psychiatrie: Wir versuchen, uns selbst zu retten.«
»Vor was?«
»Davor, zu Idioten zu werden, die zu so jemandem wie Ihnen aufblicken!« schrie der Kleine.
»Was?« fragte der Leggo bebend. »Was sagen Sie da?«
Ich spürte, daß er zu begreifen suchte, und wußte doch genau, daß er es nicht konnte, daß er aber innerlich schrie, weil wir auf den Knopf gedrückt hatten, der die Tonbänder mit allen seinen Fehlern abspielte, mit seinem Versagen als Vater und als Sohn, und ich sagte so freundlich wie möglich:
»Was wir sagen wollen, ist, daß das eigentliche Problem in diesem Jahr nicht die Gomers waren, sondern die Tatsache, daß wir niemanden hatten, zu dem wir aufsehen konnten.«
»Niemanden? Niemanden im ganzen
House of God?
«
»Für mich war da nur der Dicke«, sagte ich.
»Der? Der ist doch genauso daneben wie Dubler! Das meinen Sie nicht ernst, niemals.«
»Mann, wir meinen«, sagte Chuck mit Nachdruck, »wie sollen wir uns um die Patienten kümmern, wenn sich niemand um uns kümmert?«
Jetzt schien der Leggo zum erstenmal wirklich zuzuhören. Er hielt inne, schwieg. Er kratzte sich am Kopf, machte
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