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House of God

House of God

Titel: House of God Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Shem
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menschlicher und finanzieller Hinsicht ein enormes Potential. Das ganz große Geld.«
    »Das ist ja ungeheuerlich.«
    »Genau darum wird es sich gut verkaufen.«
    »Aber das ist doch ein Scherz, ja? Sie haben doch nicht wirklich einen Analspiegel fabriziert.«
    Der Dicke sah abwesend in die Luft.
    »Kommen Sie schon, Dickie«, sagte ich mit einem komischen Gefühl, »hören Sie auf.«
    Ich wollte ihn drängen, mir die Wahrheit zu sagen. Diese Geschichte war so absurd, daß sie auch hätte wahr sein können. Und ich hatte mich in den letzten zehn Jahren immer gehörig geirrt, wenn ich in Amerika etwas für reine Phantasie gehalten hatte, angefangen bei Jack Ruby, der Lee Harvey Oswalds Gedärme über Amerikas Fernsehschirme verspritzte, bis hin zu den braunen Umschlägen mit Geld, die man Spiro Agnew in sein Vizepräsidentenbüro brachte. Ich hatte mich jedesmal geirrt und hatte all das für völlig absurd gehalten, was sich dann stets als handfeste Realität erwies.
    »Kommen Sie schon, Dickie«, rief ich, »sagen Sie mir verdammt noch mal die Wahrheit! Meinen Sie das nun ernst oder nicht?«
    »Ob ich was tue?« Dickie schien aus seinen Träumereien aufzuwachen, riß sich zusammen und sagte: »Oh, natürlich nicht, oder? Ich meine, niemand wird sich ernsthaft etwas so Verrücktes ausdenken, oder? Vergessen Sie nicht, Basch, was Anna und die anderen Gomers angeht: Frisieren Sie die Akten, und sehen Sie zu, daß Jo es nicht merkt. Bis später.«
    Ich versuchte es. Ich beschloß, mit Anna O. alles menschenmögliche durchzuziehen und dabei möglichst nichts zu tun. Und Anna, die auf dem schmalen Grat über dem tiefen Abgrund in den Tod schwankte, landete tatsächlich wieder in der Warteschleife, die durch Regel Nr.  1 bestimmt wurde: Gomers sterben nicht.
    Eines Tages, als ich an ihrem Zimmer vorbeikam, hörte ich schließlich wieder ein gesundes, verrücktes »Ruuudle«, und mein Herz überschlug sich vor Stolz. Ich wußte, Anna O. war wieder da, und ich hatte wissengerissenschaftlich bewiesen, daß Dickie im Recht war: Tat man nichts für die Gomers, tat man ihnen Gutes, und je gewissenhafter ich nichts tat, desto besser ging es ihnen. Ich beschloß, von nun an rigoros nichts zu tun, rigoroser als jeder andere
Tern
des
House.
    Irgendwie gelang es mir auch, dieses Nichtstun vor Jo zu verbergen.
    Wie Jos orthodoxe Vorgehensweise bei den Nichtgomers, den Jungen, wirkte, von denen der Dicke gesagt hatte, sie könnten sterben, war bisher noch nicht zu erkennen. Während die schweren, grünen und stickigen Sommermonate uns fertigmachten, ganz Amerika sich über die Meldung eines Schmalspurbürokraten aus dem Weißen Haus namens Butterfield lustig machte – Nixon hätte sich so darüber gefreut, Präsident zu sein, daß er Tonbandsysteme installieren ließ, um jedes einzelne unsterbliche präsidiale Wort aufzuzeichnen, Worte, die er nun mit einem besonderen Trick, »Privileg des Präsidenten« genannt, Sirika und Cox vorzuenthalten versuchte –, ergaben Chuck und ich uns am Tage Jos Fanatismus, mit dem sie den sterbenden Jungen begegnete und ließen uns zeigen, wie man »immer alles« für diese nicht gomerösen Patienten tut. Wir quälten uns durch die Tage mit ihr, und wir benutzten sie als wandelndes Lehrbuch. Da es ihr eh unmöglich war, uns irgendwas allein machen zu lassen, täuschten wir Unfähigkeit vor und ließen sie all das tun, was ekelhaft war, wie zum Beispiel das Ausräumen. Ich hatte Chuck und Potts erzählt, wie der Dicke Jo einschätzte, darum hielten wir uns anfangs schwer zurück und behandelten sie wie ein rohes Ei. Wir enthielten uns jeder Kritik, und Chuck und ich verbargen unser Nichtstun vor ihr, was die Gomers betraf.
    Ich schleppte mich also durch die langen, öden, doppelzüngigen Tage mit Jo und hielt den Dicken in mir lebendig, bis wir, jede dritte Nacht, wieder zusammen Nachtdienst hatten. Ich dachte daran, was er über sich selbst gesagt hatte: »Ich spreche aus, was jeder Arzt fühlt, was aber die meisten unterdrücken, so daß es ihnen die Eingeweide zerfrißt.« Ich beobachtete Jo, um die Symptome eines Magengeschwürs zu entdecken, und ich beobachtete den Fisch wegen seines großen und den Leggo wegen seines riesigen Magengeschwürs. Immer deutlicher, ja fast greifbar, begleitete mich in Gedanken jene tröstliche, fette Gestalt.
     
    Während ich den Dicken hatte und Chuck sich selbst – was ihm, da er Schlimmeres durchgestanden hatte als die Gomers, genug zu sein schien –, hatte

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