House of God
Basketball spielten, und von da an ließen wir uns keine Gelegenheit dazu entgehen. Zwei von drei Abenden hatten wir zusammen frei. Dann halfen wir uns gegenseitig, unsere Arbeit zu Ende zu bringen, Jo aus dem Weg zu gehen und an Potts zu übergeben. Wir stopften unsere schwarzen Taschen in den Schrank und holten unseren Ball und unsere schwarzen Turnschuhe heraus. Wenn wir sie zuschnürten, überkamen uns heiße Erinnerungen an die Augenblicke vor den großen Wettkämpfen. Wir zogen unsere grüne OP -Kleidung an und liefen dann mit diesem »die Schule ist aus«-Gefühl, das uns ein Vierteljahrhundert vertraut gewesen war, den Korridor hinunter, aus dem
House
und raus auf die Straße. Wenn wir auf dem öffentlichen Sportplatz allein waren, spielten wir Mann gegen Mann, genossen den elektrisierenden Augenblick, wenn man mit einer einzigen geschickten Bewegung den besten Freund aus den Latschen kippt. Manchmal, wenn es sich so ergab, spielten wir gegen eine aparte Mischung aus schielenden, jüdischen BMS und ruppigen Ghetto-Kids, verspürten genau die richtige Mischung aus Ehrgeiz und Teamgeist, rannten und schrien und keuchten, machten uns Sorgen über Schmerzen in der Brust, Signale eines Herzanfalls, rempelten mit den Ellenbogen, teilten unfaire Tritte aus und diskutierten mit Fünfzehnjährigen lauthals über umstrittene Entscheidungen. Natürlich galten diese Tritte und Ellenbogenstöße Jo und dem Fisch und dem Leggo und dem Tod und den Krankheiten und der Tatsache, daß wir unsere gute, gesunde Zeit im
House of God
verplemperten. Hinterher gingen wir in eine Bar oder in Chucks Apartment, das mit seiner grellen Einrichtung aussah wie aus der Fernsehwerbung, saßen zusammen und tranken Bourbon und Bier und sahen uns Baseball an oder einen Film, bei dem wir den Ton abstellten und stattdessen Chicago Soul aus der Stereoanlage dröhnen ließen. Wir verstanden uns immer besser, wurden unter den Repressalien im
House
wie zehnjährige Jungen, wurden Freunde, wie nur Zehnjährige Freunde werden können. Und eines Tages geschah etwas, das mir bestätigte, was ich schon lange vermutet hatte: Die Gleichgültigkeit meines Freundes war nur eine einstudierte Pose.
Wir machten ein Spiel mit einigen BMS , die sich für ganz große Könner hielten. Mit dem gleichen grimmigen Ehrgeiz, der sie in die BMS gebracht hatte, fingen die Jungs plötzlich an, besonders hart zu spielen. Sie rempelten, foulten, unterbrachen das Spiel aber beim geringsten Foul von uns und stritten um jeden Einspruch unsererseits, als bekämen sie für den Sieg eine Eins in Chirurgie. Chucks Gegner war der übelste, einer von denen, die ihre Arroganz schon durch die Nabelschnur und mit der Muttermilch aufgesogen haben, wofür ihre Mutter sie dann ganz besonders liebte. Einer von der Sorte, den jeder haßt und der nur für Zuschauer spielt – selbst wenn es gar keine Zuschauer gibt – und nicht um des Spieles willen. Immer, wenn Chuck den Ball hatte, foulte ihn der Knabe, und bei jedem Stoß, den er selber einsteckte, reklamierte er ein Foul. Chuck unterbrach das Spiel nie, selbst wenn er schwer was einstecken mußte. Bei einem erneuten wütenden Einspruch wurde der Klugscheißer schließlich von seinem eigenen Team ermahnt:
»Komm schon, Ernie, spiel Basketball, ja?«
»He, wenn du mich nicht gefoult hast, warum sagst du dann nichts?« fragte Ernie.
»Laß gut sein. Spielen wir weiter«, erwiderte Chuck nur und gab den Ball ab.
Aber etwas an diesem »Laß gut sein« klang drohend, und von da an fing Chuck an zu spielen. Er steht außerhalb der Zone und versenkt den Ball im Korb, er trickst Ernie innen aus, überrennt ihn trotz seiner Fouls, er täuscht einen Wurf von außerhalb der Zone an und zieht an ihm vorbei, er tut, als wollte er zum Korb ziehen, stoppt und dribbelt. Und dabei sammelt er Punkt für Punkt, und der schlaue Ernie wird immer wütender und foult immer mehr. Auf Chuck wirkte das etwa so, als wenn eine Fliege einem Rennpferd zusetzt. Ein Ballett aus Kraft, Klugheit und Eleganz. Das Spiel hatte sich in ein Mann-gegen-Mann-Spiel verwandelt, in wütendem, verbissenem Schweigen. Chuck machte Ernie zum Narren – bis schließlich jemand sagte, es sei zu dunkel geworden, um den Korb noch erkennen zu können. Als Chuck daraufhin um unseren Ball bat, warf Ernie ihn ins Gebüsch. Totenstille. Ich hätte Ernie die Zähne einschlagen können. Aber Chuck sagte nur:
»Komm, Roy, ich denke, wir haben das Spiel gewonnen, holen wir unseren
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