House of God
um mein Leben.«
Er hielt inne und rückte näher, bis seine Knie beinahe meine Knie berührten, und ich konnte die kleinen Trübungen des grauen Star sehen, die seinen Blick verschleierten.
»Dein Mädchen da, ist sie nettes Mädchen, oder?«
»Ja, das ist sie.«
»Worauf wirst du dann noch warten? Du hast doch nicht ’ne andere, oder?«
Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, daß ich noch eine andere hatte.
»Ja, worauf wartest du dann? Sei ein
Mensch!
Ich hab nie gewartet. Nu, konnte man damals nicht warten, aber weißt du, deine Großmutter, sie wollte mich nicht heiraten, niemals. Weißt du, was hab ich gemacht? Hab ich geholt ein Gewehr und hab es ihr gehalten an den Kopf und gesagt: Geiger, wirst du mich heiraten, oder ich bring dich um. Wie findest du das, he?«
Wir kicherten, aber dann wurde er traurig und sagte:
»Weißt du, in all den Jahren mit ihr bin ich nie gegangen mit einer anderen Frau, niemals. Glaub mir, hätte ich gehabt Chancen. In Saratoga. Chancen mehr als genug.«
Ich fühlte mich schlecht wegen Molly und was ich mit ihr machte.
»Bist ein heller Kopf. Siehst immer die Leit aus diese Pflegeheime in deinem Krankenhaus, richtig? Man bringt sie zu dir.«
»Ja, Großpapa, das stimmt.«
»Ich wollt nicht verlassen Magaw Place, niemals. Hatte da meinen Club, meine Freunde. Als deine Großmama starb, hat er mich gezwungen wegzugehen, dein Vater, in dieses Heim. Ein Mann wie ich in so einem Haus. Sicher, ist nicht schlecht in mancher Hinsicht. Spielen wir Poker, und die
Shul
ist in Ordnung.«
»Es ist auch sicher«, sagte ich, weil mir einfiel, wie er überfallen worden war.
»Sicher? Was kimmert mich Sicherheit? Nein, ist mir egal. War es mir immer. Es ist nicht gut. Der Lärm, es liegt in der Einflugschneise zum Kennedy, kannst du dir das vorstellen? Behandeln sie dich schlechter als einen Hund. Was hab ich alles gemacht in meinem Leben, und jetzt das. Sterben die Menschen jeden Tag. Es ist scheißlich, scheißlich …«
Er begann zu weinen. Ich spürte, wie Verzweiflung in mir hochstieg.
»Das ist nicht gut, gar nicht gut. Wer besucht mich? Sprich mit deinem Vater, sag ihm, ich will da nicht bleiben wie ein Tier. Auf dich hört er. Ich mochte Magaw Place. Ich bin kein Baby, hätte allein da bleiben können. Erinnerst du dich an Magaw Place?«
»Sicher, Großpapa«, sagte ich. In meinen Gedanken tauchten rote Plüschsofas auf, in einem dunklen Vestibül, und der klappernde Fahrstuhl mit den Metallstangen. Und dann die kindliche Spannung, wenn man den langen, seltsam riechenden Flur zu Goßmamas und Großpapas Tür entlang lief, die dann aufflog und sich mit ihren Umarmungen füllte. »Sicher.«
»Und dein Vater, hat er mich gezwungen, auszuziehen. Also, sprich mit ihm, es ist immer noch Zeit für mich, auszuziehn aus diesem Heim. Hier, ein kleines
Gelt
von mir für deine Praxis, Dr. Basch.«
Ich nahm den Zehn-Dollar-Schein und blieb sitzen, als er aufstand. Ich wußte, wie schrecklich es war. Mein Vater hatte das Problem, was er mit einem alleinstehenden, alten Vater anfangen sollte, auf dem üblichen ethischen Weg der Mittelklasse gelöst: »Ab ins Gomerheim.« Vieh in Waggons. Ich war wütend. Damals hatte ich ihn gefragt, warum er das tat. Er hatte geantwortet:
»Das ist das Beste für ihn, er kann nicht allein leben. Das Heim ist hübsch. Wir haben es uns angesehen. Es gibt da vieles, was er tun kann, und man kümmert sich dort gut um die Menschen.«
Was hatte mein Großvater durchgemacht, und wie wenig war von ihm übrig geblieben! Er würde zum Gomer werden. Ich wußte besser als er, wo die Fahrt vom Pflegeheim hinführt. Ein entsetzlicher Gedanke kam mir: Wenn er anfängt, dement zu werden, besuche ich ihn, mit einer Spritze Zyanid in meiner Tasche, wie einen Schokoladenriegel. Er sollte kein Gomer werden, nein.
Wir gingen wieder zu den anderen. Alles war fröhlich und hell. Meine Mutter, die meine Zwiespältigkeit der Medizin gegenüber spürte, tischte eine Geschichte auf:
»Du bist nie zufrieden, Roy. Du bist wie mein Großonkel Thaler, der Bruder meines Großvaters. Alle Thalers waren Kaufleute in Rußland, solide, beständige Arbeit, Kleider verkaufen, Lebensmittel. Ich glaube, sie hatten in der Stadt sogar eine Lizenz für Whiskey. Aber mein Großonkel wollte Bildhauer werden. Ein Bildhauer! Wer hat sowas schon gehört? Sie lachten ihn aus. Sie sagten, er sollte das tun, was alle anderen taten. Und dann ist er eines Nachts in die Scheune geschlichen, hat
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